Das Projekt des Bundes der Vertriebenen (BdV), in Berlin ein Vertreibungsmuseum
zu errichten, fand 1999 bei deutschen Politikern aller Couleurs Unterstützung.
Gleichzeitig wurde es in der deutschen sowie internationalen Öffentlichkeit
vielfach kritisiert, wobei es nicht um die Frage ging, ob an das Leid der
Vertriebenen erinnert werden soll oder nicht, sondern darum, wie daran sinnvoll
zu erinnern sei. Daß der Vertreibung ein wichtiger Platz im deutschen nationalen
Gedächtnis gebührt, hat bisher niemand je bestritten. Kritisiert wurde und wird
die Form des Erinnerns, die der BdV in einer nationalen Institution
festzuschreiben sich bemüht.
Im Jahre 2003 protestierten in der als „Gerolsteiner Aufruf“ bekannten
Stellungnahme international renommierte Wissenschaftler aus sechs Ländern.
Im Jahre 2005 versuchte die Rot-Grüne Bundesregierung einen alternativen Weg zu
finden und das sog. Europäische Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ zu
gründen, dem sich bisher außer Deutschland nur noch Polen, Ungarn und die
Slowakei angeschlossen haben.
Im Jahre 2006 nahmen sich die beiden großen Parteien CDU/CSU und die SPD des
Anliegens gemeinsam an und beschlossen, in Berlin eine bisher unter der
Bezeichnung „sichtbares Zeichen“ bekannt gewordene modifizierte Fassung des
BdV-Projekts zu verwirklichen. Die beiden Ausstellungen „Flucht, Vertreibung,
Integration“ und „Erzwungene Wege“, die im Jahre 2006 in Bonn bzw. in Berlin
gezeigt wurden (vgl. weiter unten), sollen zusammengeführt werden und als
Grundlage für ein künftiges Vertreibungsmuseum in Berlin dienen.
An der Jahreswende 2007/2007 wandte sich Willy-Brandt-Kreis mit einer Petition
an die Öffentlichkeit und den Bundestag, in der es u.a. heißt: „Wir brauchen
kein Zentrum gegen Vertreibung. Wir brauchen ein Zentrum gegen Krieg.“
Im Jahre 2008 wurde die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) als
unselbständige Stiftung des öffentlichen Rechts in Berlin errichtet. Träger der
Stiftung ist das Deutsche Historische Museum.
Im Jahre 2009 hat die Stiftung SFVV vorläufig Büroräume im Deutschen
Historischen Museum in Berlin bezogen. Sie soll nach der Grundinstandsetzung des
Deutschlandhauses am Anhalter Bahnhof dort ein Ausstellungs-, Dokumentations-
und Informationszentrum einrichten, u.a. durch die „Errichtung, Unterhaltung und
Weiterentwicklung einer Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung im 20.
Jahrhundert, den historischen Hintergründen und Zusammenhängen sowie
europäischen Dimensionen und Folgen“.
Im Jahre 2010 machten harsche Auseinandersetzungen selbst unter den an der
Stiftung SFVV beteiligten Wissenschaftlern deutlich, dass es sich um ein sehr
problematisches Projekt handelt. Die Initiatorin des Projekt, Vorsitzende des
BdV Erika Steinbach (CDU) geriet währenddessen auch in Deutschland zunehmend in
die Kritik der Öffentlichkeit, vor allem wegen ihrer politischen Haltung und
diverser geschichtspolitischer Äußerungen.
Zwischen 2010 und 2015 wurde das Museums-Projekt wiederholt
von Schlagzeilen über personale Konflikte innerhalb der leitenden Organe
begleitet, einschließlich der vom wissenschaftlichen Beirat öffentlich
erzwungenen Entlassung des Direktors Manfred Kittel im Jahre 2014. Für mehr
siehe
HIER und
HIER . Der Bremer Publizist Kurt Nelhiebel war einer von wenigen
Kommentatoren, der sich mit Kittels Werken und Geschichtsbildern inhaltlich
beschäftigte, vgl. Kurt Nelhiebel: Die Entkopplung von Krieg und Vertreibung: Zu
Manfred Kittels Deutung der jüngeren europäischen Geschichte, in: Zeitschrift
für Geschichtswissenschaft 58 (2010), H. 1, S. 54-69. Außer über Personalien
hört man nämlich kaum etwas über das Museums-Projekt – wie wenn es keinerlei
inhaltliche Kontroversen und nach wie vor offene Forschungsfragen gäbe.
Eine Diskussion über die einschlägigen Geschichtsbilder ist daher längst fällig,
damit die deutsche Öffentlichkeit sich in einer so zentralen Angelegenheit der
deutschen nationalen Identität über alle öffentlich diskutierten Argumente
Klarheit verschaffen kann. Da in den Medien den Protagonisten dieses
geschichtspolitischen Projekts der beiden großen Parteien bisher
überproportional viel Raum gewährt wurde, deren Kritiker dagegen nur selten zu
Wort kommen konnten, sollen die hier vorgestellten Informationen helfen, diese
mediale Lücke zu füllen, und zum Nachdenken über den gesamten kulturhistorischen
Kontext anregen.
Zur Diskussion:
Der internationale
Weltflüchtlingstag und der deutsche Vertriebenentag
70 Jahre seit der sog. Flucht: Über ein
verschwiegenes NS-Massenverbrechen
R.M. Douglas: „Ordnungsgemäße Überführung“. Die Vertreibung der Deutschen nach
dem Zweiten Weltkrieg, München 2012, siehe die Rezension von Eva Hahn
HIER
Mathias Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf,
Folgen, München 2011, siehe die Rezension von Eva Hahn
HIER
Der BdV und seine Millionen
Von Kurt Nelhiebel
Eva Hahn / Hans Henning Hahn: Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden,
Mythos, Geschichte
Ferdinand Schöningh, Paderborn-München-Wien-Zürich 2010, 839 S.
Diese detailliert dokumentierte Studie trägt zur Klärung von Informationslücken
und zum Nachdenken über die Folgen, die die deutsche Nachkriegszeit im Erinnern
an die Vertreibung hinterlassen hat, bei. Das Buch wurde vielfach rezensiert. In
den meisten Fällen wurde sein Informationswert hervorgehoben, aber oft wurde es
als zu polemisch kritisiert. Nur wenige Rezensenten gingen auf die eigentlich
neuen Erkenntnisse ein. Im Folgenden liegen Hinweise auf einige der
interessanteren Besprechungen vor:
Petr Šafařík
hier |
Von Eva Hahn und Hans Henning Hahn
Von Renate Hennecke
Die Entkopplung von
Krieg und Vertreibung. Zu Manfred Kittels Deutung der jüngeren europäischen
Geschichte. Von Kurt Nelhiebel
In seinem neuesten Essay nimmt der Verfasser die Geschichtsbilder des Direktors
der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung unter die Lupe. Erschienen in:
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58/1, 2010, S. 54-69,
mehr hier
„Da
kann ich als Pole nicht helfen“, sagt Tomasz Szarota. „Das ist einfach so:
Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist ein Klon des Zentrums gegen
Vertreibungen.“
Ein Interview von Gabriele Lesser über eine Erfahrung mit der Stiftung „Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“
Die geplante Herrschaft über das Gedächtnis der Nation
Charta der deutschen Heimatvertriebenen: Ein umstrittenes Dokument
"Wir brauchen kein Zentrum gegen Vertreibung. Wir brauchen ein Zentrum gegen Krieg"
Kopernikus-Gruppe: Vorschlag eines würdigen Rahmens für das 'sichtbare Zeichen'
"The Holocaustizing of the Transfer-Discourse": Historical Revisionism or Old Wine in New Bottles?
The "Germans and the East": Back to Normality – But What Is Normal?
Wie bewahrt man ein
historisches Erbe?
Zentrum des Gedenkens oder Entstellung des Gedenkens
Alte Legenden und neue Besuch des "Ostens": Über Norman M. Naimarks Geschichtsbilder
Martin Fochler zur Ausstellung „Flucht,
Vertreibung, Integration, Heimat“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland in Bonn
Jan M. Piskorski über das Projekt
„Zentrum gegen Vertreibungen“
Das Museum als Magd der Politik
Beschluss des Deutschen Bundestages vom
4. Juli 2002
Renate Hennecke: Streit um Vertreibungszentrum geht weiter, zit. aus: Deutsch-Tschechische Nachrichten Nr. 69, 18.11.2005
Presseerklärung der Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg von 4. Mai 2005
http://www.uni-oldenburg.de/presse/mit/2005/168.html
Internationaler Protest gegen das Projekt Zentrum gegen Vertreibung www.vertreibungszentrum.de
Erst die deutschen Hausaufgaben machen - Die zwei Projekte für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ sind nur vor dem Hintergrund einer unaufrichtigen Vertriebenenpolitik verständlich, Frankfurter Rundschau, 25. Juli 2003
Samuel Salzborn: Geschichtspolitik in den Medien: Die Kontroverse über ein "Zentrum gegen Vertreibungen"
in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 12/2003Eva Hahn und Hans Henning Hahn über die Geschichtsbilder von dem Mitbegründer der Stiftung ZgV Peter Glotz http://www.zeitgeschichte-online.de/portal/alias__Rainbow/lang__de/tabID__40208173/Default.aspx
Zur Geschichte der Vertriebenenorganisationen
Wieso in der Diskussion über das ZgV auch das Verständnis von Nationalismus als einer der die Moderne prägenden 'großen Ideen'
eine wichtige Rolle spielt, skizziert Jan Free in Musterschüler Deutschland und Benign NationalismWeitere Materialen zum Themenkomplex 'Nationalismus': Max Webers subjektiver Gemeinschaftsbegriff (.pdf)