Wilhelm Wostry: Sudetendeutsche Geschichte 1918-1938

zit. aus: Wilhelm Wostry: Sudetendeutsche Geschichte 1918-1938. Forschung und Darstellung, in: Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem Ersten Weltkrieg, Leipzig 1943, S. 488-530

 

Das Jahr 1918 – es ist oft gesagt worden und auch der politisch und historisch Uninteressierte konnte es nicht verkennen –, dieses Jahr, eines der Schicksalsjahre in der Geschichte des ganzen deutschen Volkes überhaupt, bildet einen tiefen Einschnitt auch in der Geschichte der Sudetendeutschen. Es war der Abschluß eines von Jahrhunderten erzählenden Buches, nicht bloß, wie 1848, der Anfang eines neuen, freilich wichtigen Kapitels. Gewiß, in und mit beiden Jahren traten die Sudetendeutschen in neue Verhältnisse, beide Male grundverschieden von den unmittelbar vorhergehenden. Aber doch – welcher Unterschied zwischen 1848 und 1918! Das Jahr 1848 fand ein national eben erst erwachendes, vielfach noch zu weckendes Deutschtum in Böhmen, wie auch in Mähren und im damals österreichischen Teil Schlesiens vor. Dieses deutsche Volkstum war politisch unerfahren und

ungeschult und hatte als solches zunächst weder nationale, noch politische Organisationen. In das Jahr 1918 sind die Sudetendeutschen eingetreten mit voll erwachtem Volksbewußtsein. Sie hatten Jahrzehnte nationaler und politischer Kämpfe hinter sich, hatten ihre Erfahrungen gemacht, sie hatten sich längst ihre nationalen Verbände, ihre Schutzvereine geschaffen. Sie waren politisch eher überorganisiert und daher desorganisiert. Und welcher Unterschied in der Kenntnis und Einstellung zu ihrer Geschichte! Der Verfasser des ersten Heimatbuches der Deutschen in Böhmen, der Achtundvierziger Anton F. Schmalfuß, hatte 1851 feststellen müssen, daß in seiner Zeit von seinen deutschen Landsleuten kein Feld der Wissenschaften unbebaut blieb, "etwa das der Geschichte ausgenommen"; er selbst stützte sich für weite Partien der geschichtlichen Ausführungen seines Buches auf – Palacký. Wie anders war das 1918. Nun mußten oder konnten die Deutschen Böhmens längst wissen von ihrer Geschichte, von ihren historischen Leistungen auf allen Gebieten des Rechts und der Wirtschaft, der Kunst und der Wissenschaft und waren stolz auf sie. Nun war ihnen Palackýs Geschichtswerk nicht mehr die Geschichte Böhmens; auch das war nicht zuletzt eine Wirkung der Tätigkeit des 1862 gegründeten Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen. Nun lagen die deutschen mittelalterlichen Rechtsdenkmäler Böhmens und Mährens, die lebensvollen Städte‑ und Urkundenbücher des Raumes, auch die Werke seiner mittelalterlichen Dichtung erforscht und zum guten Teil gedruckt und gesammelt vor, nun war erkannt, was von den Meisterwerken der Kunst in Böhmen und Mähren deutsch war. Noch in den Jahren unmittel­bar vor dem Ausbruch des Weltkrieges hatte Adolf Zycha die Entstehung des deutschen Städtewesens in den Heimatländern der Sudetendeutschen, hatte Wilhelm Weizsäcker den Vorgang der mittelalterlichen deutschen bäuerlichen Siedlung Böhmens in den Mitteilungen des Geschichtsvereins dargestellt, nicht als geschichtliche Einzelerscheinungen, sondern als Sonderfälle und im Zusammenhange der großen deutschen Entwicklung. Daß dieser Zusammen­hang mit der gesamtdeutschen Geschichte wahrgenommen und festgestellt wurde, auch wenn es anscheinend um landeskundliche oder ortsgeschichtliche Forschung, auch wenn es um zeitlich eng begrenzte Einzelgeschehnisse ging, zeigte noch der Jahrgang 1913, in dem Wilhelm Wostry die Stellung und Bedeutung Prags in der deutschen Freiheitsbewegung des Jahres 1813 vorführte. Und im nächsten Jahre 1914 brach der Weltkrieg aus. Dieser Jahrgang ist der letzte, der die Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen in ihrem bisherigen stattlichen Umfange aufweist. Die immer schmäler werdenden Bücherrücken der nächsten Jahre bis Kriegsende, ja auch noch darüber hinaus lassen in den Reihen der Vereinszeitschrift die Auswirkungen der Kriegsjahre und der Schwierigkeiten der Folgezeit sozusagen äußerlich mit einem Blicke abmessen. Die finanzielle Lage des Geschichtsvereins ward katastrophal; sie allein schon hätte einen stärkeren Umfang der Vereinszeitschrift nicht mehr ermöglicht und größere wissenschaftliche Unternehmungen nicht in Angriff nehmen lassen, auch wenn nicht andere Umstände hemmend eingewirkt hätten.

 

Als der Kriegsausgang den Tschechen ihren neuen Staat gebracht hatte, setzte im Dezember 1918 ihr führender Historiker, Josef Pekař, dem 24. Jahrgang ihrer historischen Zeitschrift ein Blatt der Begrüßung voran. Da sagte er u. a.: „Wir tschechischen Historiker ... wissen mehr als andere, was wir erreicht haben ... für die tschechische Geschichtsschreibung hebt eine neue Zeit an.“

 

Auch die deutschen Historiker Böhmens und Mährens haben die Bedeutung der geschichtlichen Stunde nicht verkannt. Auch für sie bedeutete das Ende des Jahres 1918 einen Umsturz aller Verhältnisse, auch für sie entstand eine völlig neue Lage. Denn zunächst tat nicht vertiefte Forschung not, sondern vor allem Verbreitung der bereits gewonnenen, vielfach auf gelehrte Kreise beschränkten Erkenntnisse über die Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern, über ihre großen Leistungen, auf die sie ihr ehrlich erworbenes und nun doch bestrittenes Heimatrecht gründeten.

 

Mutig haben damals große Teile des Sudetendeutschtums unter der politischen Führung des unentwegten Rudolf v. Lodgman den Kampf um Recht und Freiheit aufgenommen[1]. Die damalige Lage allerdings bot wenig Aus­sicht auf einen baldigen Erfolg dieses Kampfes. Wie niedergedrückt die Stimmung in den Kreisen der damals mittleren Generation war, das ist festgehalten in den Worten: „Nach dem schrecklichen Zusammenbruch verhüllte uns eine mächtige Staub‑ und Nebelwolke den Ausblick in die düstere Zukunft. Allgemach fallen die Nebel, und wir sehen hinter ihnen die Umrisse neuer Gestaltungen, Formen, die uns trübe stimmen müssen." Dieser Satz leitete 1921 eine Bewegung über das von Otto Kletzl, nachmals dem Herausgeber der Böhmerland‑ und Sudetendeutschen Jahrbücher, geleitete Fahrtenblatt Jahrgang 6, 1917/18 der Deutschböhmen im Österreichischen Wandervogel ein. Die Beiträge dieses Buches zeigen die Hinwendung der Jugend zur Volkskunde und zur Heimatkunst; sie zeigen, daß seine Mitarbeiter "wacker daran sind, die Heimat sehen zu lernen". Und so konnte die Besprechung trotz jener trüben Stimmung fortfahren: "Aber es fehlt auch an aufrichtenden Lichtpunkten nicht. Schauen wir unsere Jugend an, wie sie, glühende Liebe zur unverlierbaren Heimat im Herzen, daran ist, sich diese aufs Neue zu erobern . . . Unsere Jugend schenkt uns  ... Trost und Freude und Hoffnung auf eine bessere Zukunft [2]."

 

Es waren wohl vorwiegend die Jungen, die „Jugendbewegten“, aber sie waren es nicht allein welche die sog. Böhmerlandbewegung in Gang brachten und (mochte auch der Name aufhören) in Gang erhielten. Was diese Bewegung wollte, dies zeigte seit 1920 Jahr für Jahr das Böhmerlandjahrbuch für Volk und Heimat, das seit 1925 den Titel führte: Sudetendeutsches Jahrbuch. Die Bände zeigen überdies, daß an und in jener Bewegung durchaus nicht nur die noch namenlose Jugend mitarbeitete, sondern auch so manche erprobte Kraft aus der vorhergegangenen Zeit. Da findet sich gleich im ersten und dritten Jahrbuch der treue als nationaler Kulturkämpfer schon in seiner Prager Zeit bewährte Hermann Ullmann, der lange Jahre die nationale Kulturzeitschrift "Deutsche Arbeit", einst begründet und herausgegeben von der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen, erst in Prag, dann in Berlin leitete und herausgab. Da erhob schon im zweiten Jahrbuch August Sauery/i> die Forderung, in der tschechischen Republik eine staatliche deutsche “Akademie der Wissen­schaften" zu errichten, deren Grundstock jene Gesellschaft bilden sollte; erst das Jahr 1941, erst das Reich hat ihre schon vor 1918 angestrebte Umwandlung in eine Akademie der Wissenschaften verwirklicht. Der gleiche Band des Jahrbuches brachte Ausführungen des damaligen Hygienikers der Deutschen Universität in Prag, O. Bail, über Rassengesundheitslehre. Im vierten Band schloß der damalige Geograph der Deutschen Universität Fritz Machatschek (jetzt München) seine Ausführungen über Sprachgrenze und nationalen Besitz mit der ernsten Mahnung an die Sudetendeutschen, „durch strenge Organisation und völkische Opferwilligkeit dafür zu sorgen, daß das, was jetzt, noch deutsch  und unser ist, auch künftigen Geschlechtern deutsch hinterlassen werde“. Im gleichen Jahrgange aber ließ E. G. Kolben­heyers Betrachtung "Über aufgeklärten Nationalismus" bereits die Metaphysik seiner "Bauhütte" (deren erste Fassung denn auch im gleichen Jahr erschien), seine auf philosophischer Deutung und Wertung der jeweiligen biologischen Entwicklungsstufen beruhende Auffassung erkennen; sein Beitrag endete mit der Feststellung der Unerläßlichkeit für jedes Volk, sein durch den Schlachtenkrieg aufgerührtes und gesteigertes Volksbewußtsein einer Erwägung auf biologischer Grundlage zu unterziehen. Kolbenheyer (der "Schriftsteller Dr. E. G. Kolbenheyer‑Tübingen" ist im ersten Jahrbuch schon ebenso zweimal vertreten wie der “Fachlehrer Hans Watzlik‑Neuern im Böhmerwald") begegnet im 4. Jahrgang ja auf ein und derselben Seite auch Rainer Maria Rilke. Auf einer anderen Seite dieses Jahrgangs gedenkt Hans Knirsch, der Gründer und das Haupt der "Deutschen Arbeiterpartei" Österreichs, der späteren DNSAP., deren durch die tschechische Regierung verfügte Auflösung 1933 der edle Mann nur um wenige Monate überlebte und deren geschichtliche Rechtfertigung im Großdeutschen Reiche er nicht mehr erleben konnte, in seiner schlichten Weise des 60. Geburtstages und des Todestages dem Volksmannes Josef Titta, des Schöpfers des Deutschen Volksrates („der größten und erfolgreichsten Volksorganisation, die wir in der Geschichte Deutschböhmens kennen“).

 

In jenen schweren Jahren fand alles, was die Seele des Sudetendeutschtums bewegte, seine Sehnsucht und sein Wollen, sein Wirken und sein Schaffen Ausdruck in den Böhmerland‑, den Sudetendeutschen Jahrbüchern. Immer wieder verzeichnen deren Inhaltsübersichten Namen von Mitarbeitern, die dann auch sonst in der Volkstumsarbeit genannt werden: Albin Oberschall etwa, den verläßlichen Statistiker, oder Gustav Jungbauer, der das Werk Adolf Hauffens, die sudetendeutsche Volkskunde, in unermüdlicher Arbeit fortsetzte, oder Rudolf Lochner, den jungen Volksbildner, oder Gustav Peters, den Politiker.

 

Vor allem aber sind, wie später in der ganzen Heimat‑ und Volkstumsbewegung der Sudetendeutschen damals schon zwei Männer organisatorisch, führend und, rastlos mitarbeitend tätig: Erich Gierach und Emil Lehmann. Herausgeber der Böhmerlandjahrbücher, auch dann noch, als sie ein Jahrbuch sämtlicher Schutzvereine und schließlich des gesamten Sudetendeutschtums, also wirklich ein Sudetendeutsches Jahrbuch geworden waren, war voll jugendlich lebendiger Unternehmungsfreude Otto Kletzl, der Erforscher der Parlergotik, jetzt Professor in Posen. Er blieb ein treuer Mitarbeiter auch dann noch, als er längst nicht mehr in Böhmen weilte und wirkte.

 

Es ist ein Verdienst des Geistes, der seit 1918 aus den Jahrbüchern sprach, daß die sudetendeutsche Einheit, so lange umstritten und ersehnt, doch Wirklichkeit geworden ist. Auf den ersten Blättern des Jahrbuches 1936 wendete sich Konrad Henlein „an die Sudetendeutschen“. Drei Viertel der Sudetendeutschen hatten sich in den Maiwahlen 1935, diesem „glänzendsten Beweis“ ihres Einigungswillens, für die Volksgemeinschaft ausgesprochen, mit gerechtem Stolze und innerer Genugtuung konnte Henlein feststellen: "Wir haben der sudetendeutschen Politik wieder Ansehen und Würde gegeben, und die Volksgemeinschaft ist für uns kein Schlagwort, sondern ein heiliges Werk, an dem wir alle mit dem Einsatz unseres Willens und unserer Kraft weiterbauen müssen." Jahr um Jahr konnten die sudetendeutschen Jahrbücher in der "Heeresschau unserer Arbeit'' eine reiche Übersicht bieten; es war eine Leistungsschau, ein Bericht nicht nur über schon Geleistetes, sondern auch Gewolltes und Geplantes ahnen lassend. Alle Gebiete des nationalen Lebens der Sudetendeutschen zeigen sich wohl bestellt – Kultur, Recht, Wirtschaft, vor allem aber und über allem steht Volk und Heimat[3].

 

Indem sich die Erfahrung der älteren Generation mit der Unternehmungsfreude der Jugend, indem sich längst Erprobtes und Altbewährtes mit dem Erneuerungsgeiste der neuen Bewegung verband, konnte das Sudetendeutschtum das Werk seiner Selbstbehauptung fortführen, konnten auch die sudetendeutschen Historiker an die neuen Aufgaben gehen, die ihnen die neue Zeit stellte.

 

Welche Stellung nahm in solcher Lage, bei solch regem Schaffen der Sudetendeutschen Geschichte, Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung bei ihnen ein? Vor der kurzen Beantwortung dieser Frage sei ein kurzer Blick geworfen auf die Vertretung des Faches der Geschichte, so weit es an der Prager deutschen Universität im Zeitpunkt des Zusammenbruches der Mittelmächte und in den ersten Jahren nachher gelehrt wurde. In den  nationalen Kämpfen, welche die letzten Jahrzehnte des untergegangenen Vielvölkerreiches, namentlich Böhmens und Mährens erfüllt hatte, war die Rolle der Prager Hochschule nie eine unbedeutende gewesen: ihre Lehrer und ihre Studenten haben an ihnen den regsten Anteil genommen. Nie aber hatten die beiden deutschen Hochschulen Prags, die Universität und die Technische Hochschule, im Leben der Sudetendeutschen solche Aufgaben zu erfüllen oder eine Stellung eingenommen, wie eben jetzt. Wie diesen selbst Wert und Bedeutung ihrer Hochschulen immer bewußter wurde, je bedrohter sie ihre höchsten Bildungsstätten sahen, so sind auch die Hochschulen selbst ihren Pflichten gegen ihr Volk nun erst recht nachgekommen. Mehr noch. Nach dem Kriegsende hatten sich die so leer gewordenen Hörsäle wieder gefüllt, ja gerade an der wachsenden Hörerzahl konnte man die zahlenmäßige Stärke des Sudetendeutschtums ablesen.

 

Schon seit den Tagen Schönerers (und K. H. Wolfs), also seit den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrh., waren die im nationalen Kampfe erprobten deutschen Hochschüler Prags – „Farbe tragen“ hieß in Prag nach dem bekannten Wort des wackeren Rektors, des Anatomen Rabl, wirklich „Farbe bekennen“ –, in der böhmischen Hochburg des Judenliberalismus sich auf arischer Grundlage zusammenschließend, die Künder und Träger des deutschvölkischen Gedankens, waren sie mit Turnern und Sängern die Gründer der deutschvölkischen Verbände, ihre begeisterten Mitarbeiter ge­worden und geblieben. Nun 1918 hatte sie Mars entlassen, sie wurden wieder Musensöhne und sammelte sich um ihre bedrohte und bedrängte Alma mater. Und ihre deutschvölkische Gesinnung hatte sich in den Schützengräben nur noch verstärkt und vertieft. Sie schlossen sich um so fester zusammen, je gefährdeter die Hochschulen waren. Zu den alten Prager studentischen Kor­porationen kamen nun noch die jungen, vom Geist der Jugendbewegung ergriffenen Freischaren. Neben dieser deutschvölkischen Studentenschaft ver­fiel die einst führende liberale völliger Bedeutungslosigkeit, kam die marxistische nicht zur Geltung; so stark war der Zwang der Lage und die Macht des nationalen Gedanken, daß er auch die auf katholischem Standpunkte stehen­den Gruppen erfaßte. Und wie in der Hörerschaft so setzte er sich auch in den Lehrkörpern der Hochschulen durch. Diese waren in nicht geringem Maße, ja bedrohlich stark jüdisch überfremdet, sie waren, als die Studentenschaft, als die überwiegende Mehrheit der Sudetendeutschen längst im deutschvölkischen Lager stand, noch Bollwerke des Liberalismus geblieben. Das änderte sich nun. Gerade in den kritischen Semestern der Jahre des Um­sturzes  1918/19 und 1919/20 stand an der Spitze der Universität der Kirchen­historiker August Naegl der "eiserne Rektor", der unerschrockene Verteidiger seiner Universität, ihrer Rechte und Interessen. Und während deutschvölkische Professoren und Dozenten vor 1900 noch recht vereinzelte Erscheinungen waren, blieben sie nun keineswegs mehr Ausnahmen. Der Name des einen oder anderen von ihnen wurde schon erwähnt, so etwa der Hygieniker Bail oder der Geograph Fritz Machatschek, zu erwähnen wäre als einer der frühesten der Germanist Hauffen oder der Professor der Ohrenheilkunde Piffl, nicht vergessen sei auch der leider früh verstorbene Philosoph Eisenmeier, der sich in hingebender Weise für das sudetendeutsche Volksbüchereiwesen einsetzte. Namentlich und vor allem ist hier nach 1920 Erich Gierach zu nennen, unbeirrbar und kompromißlos völkisch; Kern und Haupt der nationalen Gruppe nicht nur in der philosophischen Fakultät.

 

Von den Historikern traten 1918 in die neue Zeit mit hinüber der Fach­vertreter für neuere Geschichte Ottokar Weber und Emil Werunsky, der sich einst noch an der ungeteilten alten Prager Universität habilitiert und dann Professor für mittelalterliche Geschichte geworden war (gest. 1942). Er sah noch 1918 neben sich Hans Hirsch. Mit diesem hat die Prager Universität gerade in ihrer kritischen Zeit einen der führenden deutschen Historiker gewonnen. Was Hirsch als Lehrer – er war seinen Schülern mehr, ein Freund –, was er als Mensch, was er als Gelehrter, als Forscher war, das haben dankbar seine Schüler, seine Fachgenossen, seine Mitschaffenden gewürdigt; seine dauernde Bedeutung für unsere Universität läßt sich nicht kürzer, aber auch nicht besser umreißen als mit den Worten des berufenen Beurteilers, mit dem ihn eine faßt vierzig Jahre währende Freundschaft verband, Edm. E. Stengel. Dieser sagt in seinem aus warmem Herzen kommenden Nachruf auf den toten Freund, daß Hirsch an der Deutschen Universität in Prag, an der er seit 1918 durch acht Jahre wirkte "in Lehre und Forschung unverwischbare Spuren hinterließ"[4]. Hirsch war beschieden, was des Lehrers höchster, schönster Erfolg ist: daß sein pädagogischer Scharfblick unter seinen Schülern Begabungen erkennt, die, von ihm für die Wissenschaft gewonnen, in ihr aus­gebildet und zu eigenem Forschen angeregt, reich an wissenschaftlichen Er­folgen weiterschreiten in den Bahnen, auf die er sie geführt hat. Dazu kam noch eines: es hat sich ungemein glücklich gefügt, daß gerade die Fächer, die zur deutschen Geschichte ohnehin in einer engeren Verbindung stehen, von Männern vertreten waren, die wie Machatchek, der Geograph, und be­sonders Gierach, der Germanist, Hirsch gesinnungsverwandt waren, die in ihren Forschungsgebieten und in ihrer Forschungsweise der eine durch das Erd‑ und Landeskundliche, der andere durch das Sprach‑ und Schrifttums­geschichtliche, beide aber durch ihr nationalem Fühlen und politisches Wollen immer wieder zur Historie geführt wurden und sich hier mit dem Historiker begegneten. So entstand gerade in Prag jene ungemein fruchtbare Verbindung von Germanistik und Geschichte, von der die Rede sein soll. Beide verwerten sie das der Geographie zugehörige Hilfs‑ und Anschauungsmittel der Karte, von dem auch die Rechtsgeschichte, besonders Wilhelm Weizsäcker, die Germanistik, Ernst Schwarz, aber auch die Kunstgeschichte glücklich Gebrauch macht.

 

Die so fruchtbare Berührung, Durchdringung und Verflechtung von Geschichte, Germanistik und Geographie an der Prager Universität läßt sich nicht ausreichend, oder gar ausschließlich zurückführen auf den Zufall der günstigen Besetzung der betreffenden Lehrkanzeln mit Gelehrten, die, jeder in seinem Fache bedeutend, dessen national‑ und kulturpolitische Bedeutung erfaßten, und ihr in Forschung, Lehre und Leben Rechnung trugen und die einander durch ihre wissenschaftliche Auffassung und deren praktische, nationale Betätigung nahekamen. Gewiß ist jene Berührung und ihre angedeutete Auswirkung schon gegeben mit dem Verhältnisse, das zwischen Geschichte und Geographie von vornherein besteht: ist doch die Erde, mit der es die Geographie in der Hauptsache zu tun hat, der Schauplatz des geschichtlichen Lebens, Wirkens und Schaffens des Menschen, von dem die Historie handelt. Verstärkend wirkte da die wissenschaftliche Entwicklung innerhalb der Geographie selbst mit ein, in der das anthropogeographische und das geopolitische Moment zum Durchbruch gekommen war. Das nun, neben anderem, brachte es mit sich, daß in den verschiedensten Zweigen der Geisteswissenschaften die geographische Betrachtungsweise stärker als bisher mit herangezogen wurde: ist doch selbst das geistige Wunder der Sprache, das nach Jakob Burckhardt an der Spitze aller Kultur steht, keineswegs völlig raumentbunden; wie wäre sonst Sprachengeographie, Mundartengeographie möglich? Aber jene in Prag zutage tretende, über das wissenschaftliche Nachbarverhältnis hinausgehende starke Berührung von Geschichte, Germanistik und Geographie ist aus all dem Angeführten allein nicht ableitbar; sie war vor allem begründet in der Zeitlage, in der völkisch und sprachlich, kulturell und wirtschaftlich so bedrohlichen Situation des Sudetendeutschtums. Denn dieses hatte, zunächst auf sich selbst gestellt, gelöst aus der historischen staatlichen Verbindung mit großen Teilen des deutschen Volkes, ausgeblutet durch die Blutverluste des Weltkrieges, deren Größe und Schwere die aller anderen deutschen Volksteile übertrafen, zudem durch die Maßnahmen des neuen Staates täglich wirtschaftlich schwächer werdend seinen schweren Existenzkampf zu führen. Schon in der untergegangenen Habsburgermonarchie hatten die Deutschen der Sudetenländer das tschechische Programm des sog. historischen böhmischen Staatsrechtes bekämpft; die Tschechen hatten aus ihrer Auffassung, nach der sie sich als die erstgeborenen Söhne der "historischen Länder" der böhmischen Krone ansahen, den Anspruch auf das Vorrecht in diesen Ländern abgeleitet. Nach 1918 zeigte es sich unverhüllt, daß sie unter ihrem Anspruch auf das Vorrecht den auf das Alleinrecht verstanden, nur daß sie nun die Alleinherrschaft beanspruchten auch über die weiten neuen Gebiete im Donau‑ und Karpatenraum, die mit jenen historischen Ländern nie in eigener staatsrechtlicher Verbindung ge­standen und erst 1918 durch die Siegermächte der neuen Republik zugewiesen worden waren. Wie einst gegen das böhmische Staatsrecht so hatten die Sudetendeutschen nun den ungleich schwereren Selbstbehauptungskampf gegen die "demokratischen" Folgerungen und Forderungen des Majoritäsprinzips zu führen, hinter denen die Staatsmacht stand. Den je nachdem historischen bzw. naturrechtlichen Begründungen der tschechischen Politik mußten von Seite der Sudetendeutschen die entsprechenden Gegenargumente entgegengestellt werden: sie hatten ihr historisches und natürliches Daseinsrecht darzulegen, sie hatten den Kampf zu führen um ihren historischen, in jahrhundertelanger Arbeit erworbenen und vielfach erst von ihnen gerodeten Siedelboden. Es war ein Kampf, der nicht nur von ihrer Gesamtheit zu führen war auf der ganzen breiten Front der Volkstumsgrenzen, sondern auch ein Kampf, den nur allzu oft und in zunehmendem Maße der Einzelne um seinen Arbeitsplatz zu führen hatte; es war der Kampf um den Boden der Heimat; zugleich war es der nur noch härter gewordene Kampf um die ererbte Sprache, der alte Sprachenkampf. So war es ein Kampf um heiligste Güter: um Volks­tum und Heimat und Sprache.

 

In solcher Lage mußte die Geschichte erhöhte Bedeutung gewinnen, da sie gegenüber der tschechischen Berufung auf die Vergangenheit zeigen konnte, daß die Sudetendeutschen auf ein uraltes und reiches geistliches Dasein und Wirken im Sudetenraume zurückblicken können. Die Geschichte ist es, an welche sich die Frage nach dem Werdegang des Sudetendeutschtums richtete, sie ist es, welche die Frage nach seinem geschichtlichen Recht beantwortete durch den Nachweis seiner großen, bleibenden geschichtlichen Lei­stung. Die Notwendigkeit der Verteidigung des alten Siedelbodens verstärkte das Interesse an der Siedlungsgeschichte. Die Liebe zur Muttersprache wuchs mit dem Maße ihrer Bedrohung. Nicht nur, daß eine reich erblühende Dich­tung ihre Lebens‑ und künstlerische Gestaltungskraft für jetzt und künftig erwies; auch die Schätze des deutschen Schrifttums der Vergangenheit wurden ins Blickfeld der Gegenwart gerückt; durch das Mittel der Ortsnamen‑ und der Mundartenforschung wurden die Herkunftswege dem Sudetendeutschtums und zugleich seine Zusammenhänge mit dem deutschen Gesamtvolke ersichtlich­. So dienten besonders jene drei Wissenschaften der großen und ständig wach­senden Sudetendeutschen Bewegung, die sich durch die Worte Volk und  Heimat charakterisieren läßt.

 

Hier nun sind zunächst die Werke zweier deutscher Geographen hervorzuheben. Der eine von ihnen, Fritz Machatschek, ist schon genannt worden; als die reifste Frucht seiner verdienstvollen Forschertätigkeit in Böhmen ist seine Landeskunde der Sudeten‑ und Karpatenländer anzusehen, die 1926 in Druck ging, als er von seiner Prager Lehrkanzel auf die Münchner gegangen war. Der andere der beiden, Hugo Hassinger, hat nie an der Prager Universität gelehrt; die Sudetendeutschen bleiben auch ihm zum Danke verpflichtet für das warme und tätige Interesse, das er aus seiner gesamtdeutschen Einstellung heraus stets an ihren Geschicken nahm und das ihn ein Buch von so reichem Gehalte und so starker Wirkung schreiben ließ, wie es sein Werk "Die Tsche­choslowakei“ ist (1925). Es sind das zwei Werke, wie sie die Zeitlage erforderte und wie sie namentlich dem Entwicklungsstande der Geographie entsprachen: fachlich tief  fundiert im rein Erdkundlichen, waren sie wesentlich anthropologisch und geopolitisch bestimmt mit starkem historischem (die Vor-­ und Frühgeschichte einschließendem) und siedlungsgeschichtlichem Einschlag[5].

 

Schon die politisch‑staatliche Gestaltung Europas nach Kriegsende 1918 und die Stellung, welche die "Friedensmacher" der folgenden Monate der neuen Tschechoslowakischen Republik innerhalb dieses neuen Europa zu­wiesen, hätte die politische Geographie nötigen müssen, die neuen Verhält­nisse wissenschaftlich zu untersuchen. Diese Gestaltung Mitteleuropas im ganzen und die der Tschechoslowakei im besonderen setzte sich aber nicht nur zu den erdräumlichen und ethnischen Gegebenheiten, so wie zu den geschichtlichen, im Laufe von Jahrhunderten erstandenen oder geschaffenen Wirklich­keiten, sondern auch zu den von den "Siegermächten" selbst feierlich pro­klamierten Grundsätzen in so schreienden Gegensatz, daß das den leidenschaftlichen Widerspruch der betroffenen Völker und Volksgruppen und ihrer Politiker hervorrief und auch die Wissenschaft auf den Plan treten ließ: besonders die Geographie hatte Anlaß zur Stellungnahme. Diese liegt vor in den beiden genannten Werken. In ihnen ist eine Grundlegung geschaffen, auf der Machatscheks Prager Nachfolger, Bernhard Brandt, und seine Schüler weiterbauen konnten. Es waren damit auch zugleich den Historikern Handbücher gegeben, ungemein wertvoll für ihre Arbeiten. Geographische Be­trachtungsweise wurde also wie für die Geschichte und besonders die Siedlungsgeschichte so auch, wie gesagt, für andere geschichtlich gerichtete Forschungsgebiete nutzbar gemacht; das gilt besonders für die Sprachforschung, die Sprachgeographie: die hohe Entwicklung der Orts‑ und Flurnamenforschung, der Mundartenforschung gerade in Frag und Reichenberg ist hierfür das beste Beispiel.

 

Aber nicht Prag wurde Mittelpunkt der heimatkundlichen Bewegung, sondern Reichenberg. Reichenberg war ein Programm und Erich Gierach war sein Träger. Er war wohl Professor an der Prager Deutschen Universität, aber das Hauptgewicht seiner Tätigkeit lag in Reichenberg. Bewußt hat er, schon aus dem Streben heraus, die Heimatkunde aus der Heimat selbst er­wachsen zu lassen, dahin gewirkt, diese nicht nur für ihre zu interessieren, sondern auch selbst zu lebendiger Teilnahme an ihrer Forschung anzuregen. So machte er Reichenberg zum Mittelpunkt heimatkundlicher, volksforschender, kultureller Bestrebungen. Es ist erfreulich, daß es trotz gelegentlicher Spannungen letzten Endes doch nicht zu einer unüberbrückbaren Rivalität Prag – Reichenberg gekommen ist. Wie trotz des Unterschiedes der Generationen alte Schutzvereinskämpfer und neue Jugendbewegung doch zusammen arbeiteten, so gingen Reichenberg und Prag, wenn auch auf verschiedenen Wegen, eben doch dem gleichen Ziel entgegen. Aus der Geschichte, Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung ist in den Jahren nach 1918 die Wirksamkeit der Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung in Reichenberg ebensowenig wegzudenken wie vor‑ und nachher die des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen – jetzt (auch das ist ein Ergebnis der Einheitsbestrebungen seit 1918): der Deutschen in den Sudetenländern – oder wie die der Deutschen Gesellschaft, jetzt Deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag.

 

Nicht von Prag war die junge Bewegung ausgegangen, sie war im Sudetenland daheim. Seit 1920 erschienen in zwangsloser Folge die „Böhmerland-Flugschriften" für Volk und Heimat. Gleich in der ersten legte Erich Gierach "Aus Böhmens deutscher Vergangenheit" seinen Volksgenossen ihre geschichtliche Daseinsberechtigung im Lande dar. Alsbald vergriffen, wurde noch 1920 eine zweite Auflage nötig. Eine dritte Auflage, wiederum in Tausende ver­breitet und doch bald vergriffen, erfuhr im gleichen Jahre auch Gierachs Katechismus für das deutsche Volk in Böhmen, in welchem den Sudeten­deutschen in kurzen Sätzen die Hauptpunkte ihrer Geschichte, ihrer Leistung und ihres hierauf gegründeten geschichtlichen Anrechtes eindringlich vor­gehalten wurden. Es waren Flugschriften, der Not der Zeit entsprungen, dem Bedürfnisse der Lage entsprechend, das vor allem Erforderliche sagend; es waren keine gelehrten Untersuchungen und Abhandlungen und wollten auch keine sein. Denn in der bedrängten Lage tat zunächst nicht so mehr vertiefte Arbeit der Geschichtsforschung not, als ins Volk verbreitete und dort wirkende Aufklärung über die Hauptpunkte der Geschichte der Sudetendeutschen.

 

Es war zunächst erforderlich die Verbreitung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse über die Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern, über ihre großen Leistungen; denn auf diese gründete sich ihr in ehrlicher Arbeit errungenes und tschechischerseits vor der Welt doch bestrittenes Heimatrecht. Es war die Vorbereitung dieser Kenntnisse nötig unter den Deutschen des neuen Staates selbst, dann im deutschen Volke und darüber hinaus in der weiten Welt. Denn diese wußte voll alldem leider verhängnisvoll wenig – so hatte Beneš mit seinem Memoire III bei der Festlegung der Grenzen dem neuen Staates in Paris leichtes Spiel gehabt; es wußten leider auch weite Kreise im eben zusammengebrochenen kleindeutschen Reiche betrüblich wenig, wie vom "Auslands"‑Deutschtum überhaupt, so auch von den Millionen Deutscher in den Sudetenländern; es fehlte vor allem auch in deren Reihen selbst am Bewußtsein geschichtlicher Tiefe.

 

Es galt vor allem, der Welt, dem deutschen Volk und den Sudetendeutschen selbst deren Bedeutung, deren zahlenmäßige, kulturelle und wirtschaftliche Stärke anschaulich vor Augen zu stellen. Dieser Aufgabe unterzog sich eine Reihe von Publikationen. Noch vor Kriegsende geschrieben, erschien 1919 der Sammelband „Deutschböhmen. Eine Skizze von Land und Volkstum, Geistesart und Wirtschaft im Spiegel des Kriegs‑ und politischen Kampf­jahres 1918" (mit 6 Karten)[6]. Der Band ist – abgesehen vom Inhalt seiner Beiträge – an sich schon ein interessantes Zeitdokument. Dem Geleitwort des Herausgebers folgt der Abdruck der Forderungen der Vereinigung der deutsch‑böhmischen Abgeordneten nach Errichtung einer Selbständigen Provinz Deutschböhmen (6. Jänner 1918), dann des Schreibens Lodgmans von Auen, des damaligen Sprechers der Sudetendeutschen, an Wilson, der Rede Lodgmans auf dem deutschen Volkstage in Reichenberg (9. Dezember 1918) und des Aufrufs der provisorischen Landesversammlung Deutschböhmens als eigenberechtigter Provinz des Staates Deutsch‑Österreich (30. Dezember 1918). Der letzte Artikel heißt: "Reichenberg, Deutschböhmens Hauptstadt.“ Das Verzeichnis der Mitarbeiter nennt neben einzelnen der auf den vorangehenden Blättern schon genannten Namen (wie z. B. Lehmann, Ullmann, Machatschek, Watzlik), auch die anderer im Volkstumskampf und sonst bekannter Männer. Als Beilage war dem Bande beigegeben der Beitrag des Landeshauptmanns von Deutschböhmen Lodgman: Für die Selbstbestimmung Deutschböhmens. Der Band nun enthält einen Beitrag Gustav Pirchans: Deutschböhmens Schicksalskampf in der Geschichte[7]. Dieser Beitrag ist noch geschrieben in Tagen, da jedes der beiden den Boden Böhmens bewohnenden Völker anders um den Sieg betete. Er klingt aus in den Ausdruck der Erwartung: "Deutsch­böhmen harrt mit starker Seele des dämmernden Tages.“ Es ist die Erwartung, die der damalige Prager Rechtshistoriker Adolf Zycha im gleichen Bande ausspricht: Deutschböhmen hat sich kraft eigener Willenserklärung vom tschechischen Böhmen gelöst und betrachtet sich als selbständige Provinz der Republik Österreich. Mit Zuversicht erwarten wir, daß der Anschluß der letzteren an das Deutsche Reich einen folgerichtigen Abschluß der Entwicklung bringt, nämlich ein Staatsrecht aller Deutschen ...[8]. Pirchans Beitrag ist wohl die letzte geschichtliche Überschau der deutschböhmischen Geschichte, die vor dem Zusammenbruch des alten Österreich geschrieben wurde, die erste, die nach Errichtung des neuen Staates im Druck erschienen ist.

 

In diesen Wochen ging es um Deutschböhmens Schicksal. So ließ auch Lodgman 1919 das Büchlein "Deutschböhmen" erscheinen[9]. Es enthält einen Beitrag "Die historische Stellung der Deutschen in Böhmen" von dem damals führenden Wiener Historiker Alfons Dopsch, einem gebürtigen Sudetendeutschen.

 

Das Problem der böhmischen Frage, das die untergegangene Monarchie nicht hatte lösen können (und nicht zum geringsten Teil lag daran die Ursache ihres Untergangs) bestand unter der neuen tschechoslowakischen Republik weiter. Und damit nun auch weitere Kreise zu der Erkenntnis kommen konnten, daß es nicht nur um eine querelle allemande in den Sudetenländern gehe, sondern, daß das ungelöste Problem sich auch zu "allmächtiger Bedeutung" auswuchs, ferner, auf daß diese Kenntnis sich noch weiter ausbreite, war eine Einführung in die böhmische Lage willkommen, auch nötig, wie sie der Grazer Historiker Raimund Friedr. Kaindl 1919[10] in dem Bändchen "Böhmen" bot, dessen Vorwort schon Weihnachten 1918 geschrieben war. Noch dringender aber erwies sich die Notwendigkeit einer vom deutschen Standpunkt aus geschriebenen, wenn auch gedrängten, zusammenfassenden Geschichte Böhmens. So machte sich denn Karl Beer über Anregung des rührigen sudetendeutschen Verlags Franz Kraus in Reichenberg schon 1919 an die Abfassung einer gemeinverständlichen, kürzeren Darstellung der Geschichte Böhmens. 1920 erschien die "Geschichte Böhmens mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Deutschen in Böhmen"[11]. Karl Beer ist selbst ein Sohn des westlichen Sudetengaues; wiewohl in Wien wirkend ist er, ein Schüler Oswald Redlichs, ihr zeitlebens im Herzen treu geblieben und in seinen Arbeiten immer wieder zu ihr zurückgekehrt. Die freudige Aufnahme, die seine Arbeit fand, durfte in ihm mit Recht die Ansicht wachrufen, daß sein Büchlein "einem tatsächlich vorhandenen Verlangen nach geschichtlicher Weiterbildung und Belehrung entsprochen habe und daß auch die Art und Weise, wie der Stoff ausgewählt und den Lesern geboten wurde, Zustimmung gefunden habe". Der fachliche Beurteiler konnte auf jeder Seite erkennen, daß der schlichten und klaren Form der Darstellung reiche und tiefe Kenntnis zugrunde liege: darüber hinaus mußte die warme Volks‑ und Heimatliebe, die aus jeder Zeile spricht, den deutschen Leser gewinnen. Es ist nicht mehr vorwiegend Staats‑ und Fürstengeschichte, wie sie die bisherigen Werke über die Geschichte Böhmens boten. Beer kommt vielmehr der volksgeschichtlichen Auffassung nahe, nicht nur mit seiner volkstümlichen Schreibweise, sondern in seiner steten Betonung des deutschen Anteils an der Geschichte Böhmens an der kulturellen und materiellen Entwicklung des Landes. So wurde sein Buch mehr als ein vollwertiger Ersatz der längst vergriffenen "Geschichte Böhmens" von Ludwig Schlesinger (1869, 2. Aufl., 1870). Es war um so willkommener, schon weil es, bis zur ernsten Gegenwart reichend, zeitlich weiter führte als Schlesinger, der mit 1848 geschlossen und der Neuzeit überhaupt verhältnismäßig weit weniger Raum und Behandlung gegönnt hatte als nun Beer.

 

Der etwas erweiterte Umfang der bald nötig gewordenen zweiten Auflage Beers ist darauf zurückzuführen, daß sie Stellung zu nehmen hatte in einem Streite, der mittlerweile um die Frage der geschichtlichen Ursprünge des Sudetendeutschtums entbrannt war. Im August 1920 hatte Karl Beer das Vorwort zu seiner Geschichte Böhmens geschrieben; nicht ganz ein Jahr später datierte Berthold Bretholz das seine zum ersten Bande seiner "Geschichte Böhmens und Mährens"[12]. Dieses Werk hat weit mehr Aufsehen gemacht als das anspruchslosere und doch gediegenere Büchlein Beers.

 

Das aber lag vor allem an zwei Momenten, einem äußeren und einem inneren. Beide stehen (was die Wirkung des Bretholzschen Buches erklärt) nicht ohne allen Zusammenhang nebeneinander. Schon längst hatten die Tschechen aus der mittelalterlichen Geschichte (und auch aus ihrer späteren Volksgeschichte) die Ansicht geschöpft, sie seien die früher im Lande Ansässigen, die Deutschen nur die später gekommenen, die Kolonisten; sie hatten daraus politische, ja staatsrechtliche Folgerungen gezogen. Wohl hatte die ernst zu nehmende tschechische Geschichtsforschung in zunehmendem Maße die Bedeutung und gerade die segensreiche Wirkung des mittelalterlichen Deutschtums in Böhmen und Mähren zugegeben. Im tschechischen Volke aber erhielt sich die Vorstellung von den deutschen Eindringlingen  und seine Politik zog (auch noch in den Pariser Friedensverhandlungen) den größten Vorteil aus der Unkenntnis der westlichen Welt über die wahren nationalen Verhältnisse in den Sudetenländern. Da tat nun Ende 1918 und nachher noch das Staatsoberhaupt der neuen demokratischen Republik, Präsident Masaryk, Aussprüche, welche die Sudetendeutschen äußerst erbittern und ihnen das Wort Kolonisten und Kolonisation verleiden mußten. Es ist nur sehr verständlich, daß ein Buch starke Wirkung haben mußte, daß die Lehre von dem aus mittelalterlicher Einwanderung entstandenen Deutschen Böhmens und Mährens ablehnte und dieses vielmehr von den vor den Slawen im Lande ansässigen Germanen herleitete.

 

Bretholz hat damit nichts so völlig neues ausgesprochen, daß es gerechtfertigt wäre, von einer Bretholzschen Theorie zu sprechen: denn nie haben die sudetendeutschen Forscher eine völlige und restlose Abwanderung der Germanen aus dem von diesen über ein halbes Jahrtausend besiedelten Lande angenommen; allerdings haben sie diese Reste auch nicht für so stark angesehen, daß man sich aus ihnen allein, also ohne Zusammenhang mit der großen deutschen Ostbewegung des 12. bis 14. Jahrh. das so blühende deutsche Volkstum der beiden Länder im Hochmittelalter entstanden erklären könnte[13]. Jedenfalls hat Bretholz an ein Problem gerührt, das ohne Zweifel an sich schon von großer Bedeutung ist für die Geschichte des deutschen Volkes und seines sudetendeutschen Teiles; diesem war Anlaß gegeben, seine Ursprünge, seinen weiteren Werdegang und seine auf große Leistungen begründete geschichtliche und rechtliche Stellung zu bedenken. Und diese Besinnung ließ die Kontroverse, die sich entspann, nicht ohne Ertrag bleiben.

 

Einmal ergab sich, daß die nachrichtenlosen Jahrhunderte vor rund 800 nicht so weglos waren, wie es bei dem Mangel an Berichten und zeitgenössischen Zeugnissen scheinen mußte: nur der Historiker, der auf solche Quellen angewiesen war, kam nicht weiter und konnte zu keiner bestimmten belegten Aussage kommen in der Frage, um die es vor allem ging. Die Germanenfrage stand für die Sudetenländer zur Erörterung, d. h. nicht die Frage, ob diese Länder früher Germanenheimat waren (denn darüber konnten auch die Historiker auf Grund ihrer Quellen Auskunft geben und niemand – auch die ernst zu nehmenden tschechischen wissenschaftlichen Kreise nicht mehr – zweifelte an jener Tatsache), wohl aber blieb die Frage nach der Dauer der germanischen Siedlung und nach der Fortdauer germanischer Reste in Böhmen und Mähren zu beantworten; es war (wie Much das Problem umriß) zu untersuchen, nicht ob, sondern wieviel und wie lange Germanenreste in Böhmen und Mähren sich erhalten hätten. Das Wort, das dem Historiker fehlte und bei der Quellenlage fehlen mußte, hatte nun der Vor‑ und Frühgeschichtsforscher und der Sprachforscher. Nicht, als ob diesem erst Bretholz die Zunge gelöst hätte. Gierach hatte schon 1920 (wie noch früher kurz Adolf Bachmann und Beer) zum Erweis des Fortbestandes germanischer Reste auf die Fortdauer bzw. Übernahme germanischer Ortsnamen hingewiesen[14].

 

Die erste Antwort wäre zunächst von der Prähistorie zu erwarten gewesen. Aber hier war die Lage ungleich ungünstiger als bei der Sprachforschung. Für diese war Gierach mit Erfolg daran gegangen, seine Lehrkanzel an der Universität zu einer Schule für das Fach der älteren Germanistik auszugestalten, und dies mir für die Sprach­- und Schrifttumsforschung im engeren Sinne; diese so sollte in steter Berührung mit Geschichte, Geographie und Volkskunde für eine vertiefte Heimat‑ und Volksforschung eingesetzt worden.

 

Ungleich ungünstiger war die Lage für die Vor‑ und Frühgeschichtsforschung. Denn zum Unterschiede von der tschechischen Universität, die schon seit 1898 eine Kanzel für Prähistorie und mehrere Dozenten hatte, die Pflanzstätte eines Kreises vorgeschichtlich geschulter Fachmänner, welche an den verschiedenen Stellen wirkten, fehlte es an der deutschen Universität an einer Lehrkanzel und an Ausbildungsmöglichkeit für Vor‑ und Frühgeschichte. Immerhin war die Prähistorie auf deutscher Seite nicht ohne jede Pflege geblieben. Der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen hatte sie von Anfang an mit ins Auge gefaßt, freilich nicht intensiv betrieben. Namentlich die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen (jetzt Deutsche Akademie der Wissenschaften in Prag) hatte im Rahmen des ihr Möglichen die Vorgeschichtsforschung gefördert. Überdies hatte diese besonders in den deutschen Lehrerkreisen des Landes und auch sonst manchen werktätigen Anhänger; willige Kräfte standen bereit in den verschiedenen Schichten des Volkstums (es waren z. B. Bauern und Lehrer, auch ein Bahnarbeiter, die wertvolles Gut geborgen hatten); auch fehlte es weder in Böhmen noch in Mähren an sachkundigen erfolgreichen Arbeitern. Es sei da nur als besonders verdient genannt etwa der Fachlehrer Josef Kern in Leitmeritz oder Bürgerschuldirektor Karl Schirmeisen in Brünn. Doch es bedurfte der organisierten Zusammenarbeit und Führung. Und da vom Staat und den Behörden nichts zu erwarten war, mußte auch hier zunächst Selbsthilfe das Nötige tun: schon 1922 geplant, trat zwei Jahre später die Deutsche Gesellschaft für Vor‑ und Frühgeschichte in der Tschechoslowakei in Aussig ins Leben. Ihr erster Vorsitzender war Gierach. Ihre Zeitschrift "Sudeta" leitete Helmut Preidel[15]. Die Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung (jetzt Sudetendeutsche Anstalt für Landes- und Volksforschung) brachte eine Reihe ur‑, vor‑ und frühgeschichtlicher Arbeiten heraus. Im gleichen Jahr 1926, in welchem O. Menghin[16] seine Einführung in die Vorgeschichte Böhmens und Mährens in Reichenberg erscheinen ließ, legte Preidel im Sudetendeutschen Verlag eine Übersicht über die "Germanen in Böhmen im Spiegel der Bodenfunde" vor[17]. 1929 (1930) folgte sein zweibändiges Werk: "Die Germanischen Kulturen in Böhmen und ihre Träger"[18]. Schon hier war ein Bild über die Verbreitung germanischer Siedlung, über Art und Bestände ihrer Kultur geboten. Für Mähren verzeichneten B. Beninger und H. Freising die germanischen Bodenfreunde[19].

 

Das Bild der germanischen Zeit Böhmens und Mährens hatte so manche Korrektur im einzelnen, Erweiterungen in die Breite, größere Tiefe gewonnen, als endlich 1929 die Errichtung einer Lehrkanzel für Urgeschichte an der Deutschen Universität erreicht war. Sie wurde dem Wiener Privatdozenten Dr. Leonhard Franz (jetzt Ordinarius in Leipzig) übertragen und es erwies sich bald, daß sie guten Händen anvertraut war. Franz hat unter schwierigen Verhältnissen das neue Seminar für Urgeschichte auf‑ und zu einer Schulungsstätte vorgeschichtlicher Forschung ausgebaut; in dem jungen unternehmenden Gelehrten erhielt die Kommission für Vor‑ und Frühgeschichte bei der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag einen fachwissenschaftlich führenden Kopf. Wie schon früher ermöglichte diese durch ihre Beihilfen Grabungen; in ihren Mitteilungen veröffentlichte L. Franz seine Beiträge zur Vor‑ und Frühgeschichte Böhmens; seine Schüler Camilla Streit und J. Glott bearbeiten Bausteine zur Vorgeschichte der Sudetenländer[20]. Die reichen Funde des Saazer Landes birgt das von Max Wurdinger (gest. 1938) vorbildlich betreute Stadtmuseum in Saaz. Was von Franz auch sonst geleistet wurde, davon gibt die "Sudeta" und seine Arbeit "Kelten und Germanen in Böhmen"[21] im Text und in den Anmerkungen eine Vorstellung. Es war nicht wenig, was die Vor‑ und Frühgeschichtsforschung, aus mißlichen Umständen sich emporringend, trotz allem und allem in kurzer Zeit erarbeitete.

 

Zeitlich, räumlich und inhaltlich erweiterte sich der Anschauungsbereich der germanischen  Epoche der böhmisch‑mährischen Geschichte. Wie die sog. Bodenbacher Funde (sie wurden von Franz den Hermunduren zugewiesen) es ermöglicht hatten, den Beginn der germanischen Siedlung, der bisher auf

Grund der Nachrichten  der antiken Schriftsteller um die Zeitwende angesetzt worden war, um ein bis zwei Jahrhunderte früher anzusetzen, so konnten germanische Siedlungen nun auf Grund neuer Funde noch für spätere Zeiten, als bisher angenommen worden war, festgestellt werden. Man gewann auch ein volleres Bild ihrer räumlichen Verteilung, ein reicheres ihrer Kultur. Aber was man für das 6. bis 9. Jahrh. an spätgermanischer Besiedlung noch vor­aussetzte, das war doch im Rückgange, war, wie es jüngst Franzens Nach­folger auf dem Prager Lehrstuhle, Lothar F. Zotz, ausgesprochen hat, "durch Abwanderung geschwächt und durch verheerende Seuchen an den Rand des Volkstodes gekommen"[22]. Das nun ist freilich kein Ergebnis, das an sich allein die Stärke des böhmischen und mährischen Deutschtums im späteren Mittelalter erklären könnte und dazu zwänge, seine Entstehung aus dem Zusammenhange des großen Vorgangs der deutschen Ostbewegung, der deutschen Wiederbesiedlung zu reißen. Die Arbeit der Vor‑ und Früh­geschichtsforschung ist darum nicht minder ertragreich und wertvoll. Sie ermöglicht es, den tschechischen, auf "frühere" Ansässigkeit sich berufenden Ansprüchen die Tatsache einer vielhundertjährigen germanischen Geschichte Böhmens und Mährens lange vor dem Eindringen slawischer Bewohner entgegenzuhalten. Es ist durch diese frühgeschichtliche  Arbeit nicht nur die geschichtliche Heimatkunde an vielen Orten vertieft worden, es hat darüber hinaus aus der Durchforschung dieser beider Länder (wahrer Archive der Ur‑, Vor‑ und Frühgeschichte!) die Germanenkunde überhaupt manche Erweiterung und Bereicherung erfahren.

 

Ähnlich und doch anders war und ist es bei der Sprachforschung. Auch sie ist für das Verbleiben germanischer Volksreste eingetreten (Gierach ist da schon genannt worden) und hat das überzeugend mit der Übernahme von in germanischem Munde gebildeten oder gebräuchlichen Ortsnamen, nament­lich Fluß‑ und Bergnamen begründet. Das ist namentlich geschehen in den Untersuchungen „Zur Namensforschung und Siedlungsgeschichte in den Sudetenländern", die Ernst Schwarz 1923 erscheinen ließ[23]. Aber während für die Vor‑ und Frühgeschichtsforschung die spätgermanische Zeit der Sudetenländer dem Arbeitsgebiet nach und zeitlich Ziel und Ende ist, bedeutet sie in der Sprachforschung, namentlich sofern sie für Volksgeschichte ausgewertet werden soll, einen Ausgang: sie schreitet von hier weiter ins Mittelalter und in die späteren Jahrhunderte hinein. Ihre Aussagen werden und bleiben wichtig für die Siedlungsgeschichte; schon der Titel der eben angeführten Arbeit von Ernst Schwarz enthält sozusagen ein Programm: Namensforschung und Siedlungsgeschichte. Er hat übrigens selbst die "Aufgaben der deutschen Sprachforschung", die "Fortschritte und Aufgaben der sprachwissenschaftlichen Volksforschung in den Sudetenländern“ umrissen[24].

 

Zur Bewältigung dieser Aufgaben hat viel das gute Verhältnis beigetragen, in welchem die führenden Vertreter der Geschichtswissenschaft und der Germanistik zueinander standen: Hans Hirsch und Erich Gierach wirkten zusammen. Ernst Schwarz, des allzufrüh verstorbenen Primus Lessiak Schüler, war auch Schüler von Hans Hirsch; der Historiker Rudolf Schreiber, der tüchtige Arbeiter auf dem Gebiete der Landesgeschichte, hatte als Gierach‑Schwarz‑Schüler eine (noch ungedruckte) Dissertation über die Dialektgeographie des Ostegerländischen geschrieben und ist "zu bemerkenswerten Feststellungen über den Einfluß der Herrschafts‑ und Kreisgrenze auf die Festlegung der Mundartgrenze" gelangt[25].

 

Den von ihm umrissenen Aufgabenkreis hat vor allem Ernst Schwarz selbst ausgefüllt. Es muß hier genügen und es kann auch genügen, aus der großen Fülle seiner Arbeiten sein bedeutendstes, bekanntestes und mit Recht in seinem Werte hochangesehenes Werk zu nennen: "Die Ortsnamen der Sudetenländer als Geschichtsquelle[26]." Es zählt unstreitig zu den besten Leistungen des sudetendeutschen Wissenschaft und seines engeren Faches überhaupt.

 

Der Ortsnamenforschung und der Auswertung der Ortsnamen für die Geschichte, besonders die geschichtliche Heimatkunde, dient (auch sie ein Stolz der sudetendeutschen Wissenschaft; durch sie hat diese einen Vorsprung vor den anderen deutschen Landschaften) die Reihe der von Gierach und Schwarz herausgegebenen Sudetendeutschen Ortsnamenbücher, die 1932 Erich Gierach mit dem Bande Reichenberg eröffnete, dem 1934 Schwarz den Band Gablonz folgen ließ[27]. Dieser wichtigen Reihe trat 1935 eine zweite, nicht minder wichtige, zur Seite. Ernst Schwarz, seit Jahren die Flurnamenstelle der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag auf‑ und ausbauend und führend, leitete 1935 mit dem Bande der Flurnamen des Bezirkes Gablonz das Sudetendeutsche Flurnamenbuch[28] ein. Orts‑ und Flurnamenforschung bilden wie Mundart‑ und Wortgeographie ein wichtiges Hilfsmittel der Siedlungs‑ und Volksforschung. Wie ertragreich sie für Geschichte verwertet werden können, das erwies Schwarz in seinem 1935 erschienenen "umfassenden und eindringenden" Werk: "Sudetendeutsche Sprachräume"[29]. Ein Beispiel der Verbindung geographischer und philologischer Betrachtungsweise mit der historischen und der Fruchtbarkeit dieser Verbindung bietet auch Herbert Weinelt. Er stellt Untersuchungen an zur landwirtschaftlichen Wortgeographie in den Sudetenländern oder über die mittelalterliche Kanzleisprache in der Slowakei[30]. Die Forschungszweige, durch Gierach und Schwarz wie durch ihre Schüler in den Sudetenländern und für sie zu hoher Blüte gebracht, stehen im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung, wie sie sich im Bereich der deutschen Wissenschaft vollzog. Gedanken und Grundsätze, wie sie etwa Theodor Frings (1932) für Sprache und Siedlung im mitteldeutschen Osten entwickelt hatte, wirkten auf die sudetendeutsche Forschung befruchtend ein.

 

Das gilt nicht nur für die Sprachgeographie, sondern für Siedlungsforschung überhaupt. Hier hat namentlich Rudolf Kötzschke von Leipzig aus ungemein stark angeregt. In steigendem Maße ward die Bedeutung der Siedlungsgeschichte erkannt. Theodor Mayer, der seit 1923 (bis 1930) an der Prager deutschen Universität wirkend besonders auch auf die wirtschaftsgeschichtlichen Probleme verwies, umschrieb die Aufgaben der Siedlungsgeschichte in den Sudetenländern[31]. Immer wieder und früher schon haben Probleme der sudetendeutschen Siedlungsgeschichte Josef Pfitzner beschäftigt, der, in der Hauptsache ein Schüler von Hans Hirsch, der in den zwanziger Jahren antretenden jüngeren Generation angehört und aus einem der Hörer der Prager deutschen Universität einer ihrer Lehrer wurde, in ihrem wissenschaftlichen Leben wie im Volkstumskampfe in vorderster Reihe stehend. Seine zahlreichen Arbeiten kehren immer wieder zu Fragen der sudetendeutschen Siedlungsgeschichte zurück, sei es, daß er ihre methodische Behandlung, sei es, daß er sie im ganzen und mehr theoretisch erwog oder daß er, wie in einer seiner frühesten Arbeiten, in der Geschichte der Stadt Zuckmantel das Beispiel einer wissenschaftlich hochwertigen ortsgeschichtlichen Forschung und Darstellung bot[32]. Valentin Schmidt hatte 1922 den Versuch einer Siedlungsgeschichte des Böhmerwaldes unternommen. H. Zatschek untersuchte die Bedeutung der Witigonen für die Besiedlung Südböhmens. K. Berger stellte 1933 die Nachrichten über die Besiedlung des deutschen Nordmähren im 13. und 14. Jahrh. zusammen. Die Besiedlung des Erzgebirges bzw. Nordwestböhmens überblickten kurz Viktor Karell, Heribert Sturm, Kurt Oberdorffer32a. Über die Ergebnisse der sudetendeutschen Siedlungsforschung hielt Pfitzners Schüler Kurt v. Maydell eine gut unterrichtende Überschau. Em. Schwab erörterte "Die deutsche Besiedlung der Sudetenländer"[33]. Von der Siedlungsforschung gingen viele Anregungen aus für die geschichtliche Heimatkunde, die ihrerseits jener Forschung wertvollste Vorarbeit leistete.

 

Die Heimatkunde empfing stärkste Antriebe aus dem Gefühl schwerster Bedrohung des altangestammten und in oft jahrhundertelangem Schaffen erarbeiteten Heimatbodens. In einem Kampf, in dem es um die Scholle, ja um den einzelnen Arbeitsplatz ging, war den Sudetendeutschen die Erkenntnis aufgegangen, die Kolbenheyer in die Worte faßte: "Bodentreu durch tausend Streben – Eng umschlungen in die schwere deutsche Erde hart gedrungen –  Quillt uns Leben, unser Leben." Nicht nur in den Heimatboden, auch in seine geschichtlichen Tiefen wollte diese Heimatbewegung dringen. Wie ihre Verkörperung, sie gedanklich durchdringend, ihr in seiner Zeitschrift "Heimatbildung" und sonst ständig neue Anregungen zuführend, wirkte Emil Lehmann. Eine stattliche Zahl von "Heimatkunden", von Ortsgeschichten entstand, nicht alle vom gleichen Worte, manche aber weit über das Ortsgeschichtliche hinaus bedeutsam. Viele Namen, viele Arbeiten wären zu nennen; etliche davon sind in der oben genannten Arbeit von Maydell angeführt. Manche der Heimatbücher, wie besonders Ant. Altrichters schönes Heimatbuch der Iglauer Sprachinsel (Iglau 1921) oder sein Dörferbuch (1924) sind vorbildlich.

 

Großangelegt – um nur ein Beispiel zu nennen – ist die Komotauer Heimatkunde, an deren Gestaltung im geschichtlichen Teil Rudolf Wenisch großen Anteil hat. Der rechtsgeschichtliche Beitrag Wilhelm Weizsäckers ist musterhaft. Auch Reichenberg, Gablonz, Friedland dürfen stolz sein auf ihre Heimatkunden[34]. Der Heimatkunde dienen ältere oder neu entstandene Zeitschriften örtlichen oder landschaftlichen Charakters, deren Aufzählung im einzelnen zu weit führen würde. Der heimatkundlichen Bewegung verdankt auch die Ortsgeschichte vielfältige Anregung und manche wertvolle Publikation. Für Iglau sind da besonders Anton Altrichter und Em. Schwab, für das Riesengebirge und Ostböhmen Karl Schneider (Hohenelbe), für den Böhmerwald Josef Blau und Rudolf Kubitschek zu nennen. Auch das örtliche Archivwesen fand verstärkte Pflege, die der heimatkundlichen Forschung zugute kam und in vielen, oft sehr guten Veröffentlichungen ihren Niederschlag fand. Es seien da genannt Anton Gnirs für Elbogen, Karl Ludwig und sein Nachfolger Viktor Karell für Karlsbad, Kurt Oberdorffer für Brüx. An Stelle des hochverdienten Erforschers der Egerer Geschichte, Karl Siegl, trat Heribert Sturm, der vordem auch in und für Joachimsthal historisch‑publizistisch erfolgreich gewirkt hat. Von dieser berühmten Bergstadt des Erzgebirges hat Hans Lorenz kulturgeschichtlich interessante Bilder entworfen. Von mährischen Stadtgeschichten sei die Olmützer von H. Kux angeführt[35].

 

Über "Stadtgründungen in Mähren und Schlesien" handelte Hans Reutter. An mittelalterlichen Stadtgrundrissen wurde von Anton Hönig "Deutscher Städtebau in Böhmen" betrachtet35a.

 

Auch Denkmalpflege und Musealwesen haben von der Heimatkunde Anregung erfahren; durch die Anschaulichkeit der Überreste der Vergangenheit wirken sie auf die Liebe zur Vergangenheit der Heimat zurück und tragen sie zum Verständnis der Erhaltung alten Gutes der Kunst, des Kunstgewerbes, der Volkskunst bei. Alte Museen wie etwa das Egerer erfuhren weitere Ausgestaltung, andere, wie das schon genannte Saazer oder das Brüxer oder das Komotauer Stadtmuseum, kamen jetzt erst zu größerer Bedeutung. Dem eigenartigen Charakter der Bergstadt Joachimsthal wurde durch Heribert Sturm auch im Museum Rechnung getragen, wie ähnliches auch im Museum der Industriestadt Gablonz der Fall ist. In der Denkmalpflege machten sich Karl F. Kühn und Rudolf Hönigschmid, im Musealwesen namentlich der letztere verdient.

 

Im engen Zusammenhang, weil vielfach auf die gleichen ortsgeschichtlichen Quellen angewiesen, steht mit der Heimatkunde die Familienforschung; sie wurde für die Sudetendeutschen besonders durch F. J. Umlauft (Aussig) und Hans Felix Zimmermann (Prag) in Gang gebracht.

 

Siedlungsgeschichtlich und schon durch ihr Thema der Historie wie der Geographie zugewandt, dabei der Heimatkunde verbunden, ist die Burgen­kunde. Über die Burgen Westböhmens unterrichtet einer der ältesten, treuesten und gründlichsten Arbeiter auf dein Felde geschichtlicher Heimatkunde Georg Schmidt (Mies). Dem neuesten Stande der Burgenforschung und ihrer Methode entsprechen die einschlägigen Arbeiten Herbert Weinelts und Karl Vogts[36]. Mit diesen beiden jungen Forschern begruben wir reiche Hoff­nungen; beide sind an der Ostfront gefallen.

 

Bedeutsam, manche ihrer Wurzeln in die Heimatkunde senkend und aus ihr starke Lebenssäfte ziehend, ist die Wirtschaftsgeschichte, in ihr wieder die Industriegeschichte. Gerade sie hätte und hat für die Geschichte des Sudetendeutschtums hohe Bedeutung; ist dieses doch der Schöpfer und Träger der hochentwickelten Industrie der Sudetenländer. Wohl hatte schon 1893 der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen in seinen Beiträgen zur Geschichte der Industrie in Böhmen einen vielversprechenden Anlauf genommen; aber schon 1898 blieb das Werk stecken. Es wurde als Ganzes nicht wieder aufgenommen; wohl aber sind Einzelforschungen und Einzeldarstellungen der Industriegeschichte gewidmet.

 

Der tüchtige Bürgermeister von Gablonz (dem Hauptsitz der "Gablonzer" Glasindustrie) K. B. Fischer, einer der besten Kenner der Geschichte dieser Industrie und ihrer Technik, hat nach dem Weltkriege Studien zur Glasgeschichte fortgeführt, die er vor demselben schon begonnen hatte, namentlich die Geschichte einzelner nordböhmischer Glasfamilien wie der Schürer von Waldheim oder der Wander von Grünwald hat er erforscht und dargestellt[37]. Jene Arbeiten waren z. T. in Verbindung mit dem Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen, dessen Ausschuß Fischer angehörte, veröffentlicht worden. Weiter in die Breite und noch mehr in die Tiefe gehen die Forschungen und Arbeiten von Margarete Klante zur Geschichte des "böhmischen" Glases. Siedlungsgeschichtlich ist ihre wirtschaftsgeschichtliche Studie "Das Glas des Isergebirges" unterbaut[38]. Einen zweiten, wichtigen Zweig der Industrie Nordböhmens berührt die Arbeit Arno Kunzes[39]: "Die nordböhmisch‑sächsische Leinwand und der Nürnberger Großhandel." Es ist bezeichnend für das eben vom Zusammenhang zwischen Wirtschafts‑ und Siedlungsgeschichte und Heimatkunde Gesagte. Kuntzes Arbeit eröffnete 1928 die von Gierach herausgegebenen Forschungen zur sudetendeutschen Heimatkunde; sie ist zugleich ein Zeichen treuer Heimatverbundenheit: ist sie doch angeregt  von Gustav Aubin, der, ein Sohn der Stadt Reichenberg, als Professor an Universitäten des Reiches, zuletzt in Halle wirkend, seiner sudetendeutschen Heimat auch mit seinem wissenschaftlichen Interesse verbunden blieb. – Den führenden Anteil der deutschen Bürger an "Handel und Gewerbe Prags in vorhussischer Zeit“ läßt Otto Peterka hervortreten[40].

 

Der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Raum, Geschichte und Gegenwart wird auch ersichtlich an der Zusammenstellung der Beiträge verschiedener Mitarbeiter, die von Margarete Klante[41] unter dem Titel "Bergbau und Metallwirtschaft im Sudetenraum" veröffentlicht wurde.

 

Die bedeutsamste Leistung auf dem Gebiete der Geschichte des Bergwesens, besonders des Sächsischen Bergrechts in Böhmen, ist Wilhelm Weiz­säcker[42] zu danken. Sein Lehrer Adolf Zycha hatte 1900 "Das böhmische Bergrecht des Mittelalters auf Grundlage des Bergrechtes von Iglau" dargestellt. Nun setzten tiefschürfende, neue Gänge und neues Material erschließende gründliche Quellenforschungen Weizsäcker in den Stand, auf Grundlage des Joachimsthaler Bergrechts des 16. Jahrh. das Sächsische Bergrecht in Böhmen geschichtlich und inhaltlich darzustellen. Das Buch ist weit mehr als "ein erster bescheidener Versuch" (als den es der Verfasser selbst allzu bescheiden bezeichnet); seine Bedeutung erschöpft sich auch nicht darin, daß es eine unentbehrliche Grundlage und ein Ausgangspunkt für weitere Forschungen zur Geschichte des Bergbaus und Bergrechts im Sudetenraum bildet; es ist eine der Leistungen, durch welche der sudetendeutschen Geschichtsforschung ein ehrenvoller Platz im Buche der deutschen Rechtsgeschichte gesichert bleibt. Bergrechtsgeschichte ist durchaus nicht die einzige Stelle, an der Wilhelm Weizsäckers Name mit Anerkennung in der deutschen Rechtsgeschichte eingetragen ist. Eindringen und Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Böhmen hat er erforscht und in Karten anschaulich gemacht; bei dem Fehlen einer sudetendeutschen Rechtsgeschichte mußte seine Übersicht, die von der frühesten Zeit bis 1938 heraufreicht, doppelt willkommen sein; Weizsäcker hat sie 1937 vorgelegt. Schon Otto Peterkas Rechtsgeschichte der böhmischen Länder (in zwei Bänden, bis zum theresianischen Zeitalter reichend) ließ deutlich werden, wie stark diese in den Gang der deutschen Rechtsgeschichte verflochten ist[43].

 

Nicht nur Siedlung, Wirtschaft und Recht erfuhren ans der neuen Lage der Dinge heraus neue oder doch vertiefte geschichtliche Betrachtung; dies gilt auch von der Geschichte des Schrifttums und der Kunst. Längst schon und immer wieder hatten die Sudetendeutschen gerade auch hier darauf vorweisen können, was deutsche Literatur und deutsche Kunst für die Sudetenländer zu bedeuten haben; schon war auch anerkannt, daß diese in beiden Hinsichten weitreichend deutscher Kulturboden sind, wie sie ja einst zum Reiche gehört hatten und in weiten Strichen deutscher Volksboden sind. Für die Tatsache, daß die junge sudetendeutsche Bewegung bewußt an bereits Geleistetes anknüpfte und alte bewährte Kräfte heranzog, wird es dauernd ein Zeugnis bleiben, daß sie für die Abfassung zusammenfassender, volkstümlicher Gesamtdarstellungen sowohl der Geschichte der deutschen Literatur als der deutschen Kunst in den Sudetenländern zwei betagte sudetendeutsche Forscher, beide längst in Wien wirkend, auf den Plan rief. Diese hatten schon seit Jahrzehnten den Anteil und die Leistungen des Sudetendeutschtums auf beiden Gebieten in ihren Forschungen wissenschaftlich erforscht und dargestellt, es waren dies: der Literarhistoriker Rudolf Wolkan und der Kunsthistoriker Josef Neuwirth. In den Jahren 1890‑1894 hatte der erstere sein dreibändiges Werk "Böhmens Anteil an der deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts" erscheinen lassen. Nun 1925 legte er "den Familien aller Deutschen in und aus Böhmen und den Sudetenländern" seine "Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen und in den Sudetenländern" vor[44]. Noch etwa im vorletzten Weltkriegsjahre hatte ein tschechischer Literarhistoriker den Deutschen in den böhmischen Ländern den Besitz einer Literatur absprechen wollen. Nicht nur an Wolkans Buch konnte man abmessen, was an solcher Behauptung wahr sein konnte: Und die Sudetendeutschen selbst konnten an dem Monumentalwerke ihres Landsmannes Josef Nadler[45] ersehen, welche Stelle ihrem Schrifttum in der Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften gesichert bleibt. Nadler hat sein Werk, eine der ganz großen Leistungen der deutschen Literaturgeschichte, seinem Lehrer August Sauer[46] gewidmet. Mit größtem Rechte und bestem Grunde. Denn Sauer hatte 1907 in seiner Rektoratsrede über "Literaturgeschichte und Volkskunde" besonders mit der Forderung, den Dichter aus seiner Heimat und seiner stammhaften Verwurzelung im Volkstum zu verstehen, die Grundgedanken ausgesprochen, nach denen sein Schüler Nadler das hervorragende große Werk gestaltet und ausgestaltet hat. Erich Gierach bot wiederholt zusammenfassende Überblicke über die deutsche Literatur in den Sudetenländern im Mittelalter[47].

 

Die Kenntnisse über die deutsche mittelalterliche Dichtung im Sudetenraum wurden im einzelnen noch erweitert und vertieft; so durch Gierach ("Märterbuch") oder durch seine Schüler Gerhard Eis und Friedrich Repp[48]. Namentlich "das vollkommenste Stück Prosa, du wir in unserer älteren Literatur besitzen" (Gervinus), der "Ackermann aus Böhmen" hat – abgesehen von Konrad Burdach und gemeinsam mit diesem – gründlichste Untersuchung und eingehendste Würdigung erfahren und eine würdige wissenschaftliche Ausgabe erhalten durch den verdienten sudetendeutschen Forscher Alois Bernt. Über die umstrittene Person des Ackermann‑Dichters handelte außer Bernt besonders Karl Beer; die Entscheidung brachte die Entdeckung der lateinischen Widmung des Ackermanm aus Böhmen durch Heilig. Aufschlußreich sind die Untersuchungen Anton Blaschkas und Gust. Pirchans zum Werk und zur Person des Dichters[49].

 

Auch für die dem Mittelalter folgenden Jahrhunderte ist die Forschung nicht still gestanden. Von August Sauer, wie von seinem Nachfolger Herbert Cysarz sind mannigfaltige Anregungen ausgegangen. Bei beiden Vertretern der neueren deutschen Literaturwissenschaft an der Prager deutschen Universität tritt es, natürlich im Abstande ihrer Generationen und der entsprechenden Zeitlage wie auch gemäß ihrem Wesen und ihren Anschauungen zutage, wie sehr ihre Forschung volksbedacht und volksverbunden war. Besonders Cysarz, selbst ein Sudetendeutscher, zeigte sich in den Jahren der steigenden Krise und der Entscheidung, die Sauer nicht mehr erlebte, der sudetendeutschen völkischen Dichtung und ihren jungen Trägern nahe verbunden. Sein Durchblick und Ausblick über die großen Themen der sudetendeutschen Schrifttumsgeschichte führte mitten hinein in die Reihen der ringenden sudetendeutschen Dichter jener letzten Kampfjahre und hinan bis an die Entscheidung selbst[50].

 

Wie in der Literaturgeschichte der Sudetendeutschen Wolkan, so trat in der Geschichte ihrer Kunst ein Jahr später als dieser ein verdienter Forscher der älteren Generation, Josef Neuwirth, mit einer zusammenfassenden Darstellung hervor. 1926 erschien seine Geschichte der deutschen Kunst und des deutschen Kunstgewerbes in den Sudetenländern bis zum Ausgang des 19. Jahrh.[51]. Der Kunstgeschichte Mährens gilt ein Buch Julius Leischings[52]. Etwas früher als einst Wolkan sein dreibändiges Werk über die deutsche Literatur Böhmens veröffentlicht hatte, war das Neuwirths über die bildende Kunst Böhmens im Mittelalter entstanden. Und wie der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen die Bibliothek der mittelhochdeutschen Literatur, die deutsche Gesellschaft der Wissenschaften die Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen (in ihr die große Stifterausgabe) begründet hatte, wie jener seit 1864 (also zwei Jahre nach seiner Gründung) in seinen Mitteilungen und in besonderen Veröffentlichungen und dann namentlich diese seit ihrem Bestande auch das Gebiet der bildenden Künste und ihrer Geschichte betreut hatten, so galt es im neuen Zeitraum auf den angebahnten Wegen fortzuschreiten. Nur der Gesellschaft war das noch möglich, trotz ihrer beschränkten Mittel konnte von Anton Gnirs die Topographie der historischen und Kunstdenkmale der politischen Bezirke Elbogen und Tepl‑Marienbad, zwei Jahre später von Karl F. Kühn die des Bezirks Reichenberg vorgelegt werden[53]. In Böhmen wie in Mähren (Leischings Name wurde eben genannt) und dem ehemals österreichischen Schlesien (hier wirkte und wirkt E. W. Braun[54] verdienstvoll und anregend) ging eine nicht unbeträchtliche Zahl von Einzelforschern Einzelproblemen (so Braun dem Barock) nach. Auch für die Kunstgeschichte zeigt sich die Verbindung mit der Heimatbewegung; so z. B. die gelungenen landschaftlichen Ausstellungen (Gotik in Komotau, Barock in Brüx). Besonders war es die Zeit Peter Parlers, die die Forschung anzog. Josef Opitz[55] (an der Veranstaltung und dem Gelingen der beiden genannten Ausstellungen stark beteiligt) behandelte "Die Plastik in Böhmen zur Zeit der Luxemburger" (1936). Namentlich hat Otto Kletzl[56] – dessen Name auf den voranstehenden Blättern schon wiederholt begegnete – sich in seinen kleineren und gerade in seinen größeren Arbeiten immer wieder der Blütezeit der gotischen Kunst unter Karl IV. und ihren Ausstrahlungen zugewendet, hat die Kenntnis dieser Zeit nicht nur durch seine Forschung und Darstellung, sondern auch durch glückliche Entdeckungen bereichert. Alfred Wenzels[57] (eines Sudetendeutschen) "Baugeschichte des Kloster Trebitsch" (1929) beleuchtet ein interessantes Kapitel aus der mährischen Kunstgeschichte. Wie eine Entdeckung eines neuen oder verschollenen Landes wirkte 1938 das Buch "Deutsche Kunst in der Zips". Von seinen Autoren Oskar Schürer und Erich Wiese hatte der erstere eine Zeitlang in der Hauptstadt Böhmens gelebt. Unter den Eindrücken, die er damals hier empfing, verfaßte er das Buch "Prag", das weithin bekannt wurde[58].

 

So wurde das weite Gefilde sudetendeutscher Kunstgeschichte vielfach bebaut. Zu einer planmäßigen und methodisch vertieften Bestellung kam es, als Karl M. Swoboda 1935 an die Prager deutsche Universität berufen war. Er selbst hat sein bewährtes Wissen und Können in den Dienst der Erforschung der deutschen Kunst im Sudetenraum und der Ausfüllung des voll ihm entworfenen Programms der Gemeinschaftsarbeit gestellt. Die deutsche Gesellschaft der Wissenschaften in Prag konnte seiner unternehmenden organisatorischen Begabung die Führung ihrer kunstwissenschaftlichen Kommission voll Vertrauen übertragen. Seine Arbeit "Zum deutschen Anteil an der Kunst der Sudetenländer" leitet die von ihm begründeten und im Auftrage der deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag herausgegebenen "Beiträge zur Geschichte der Kunst im Sudeten‑ und Karpatenraum" mit historischem Tiefenblick programmatisch ein. Im zweiten Bande "Studien zu Peter Parler“ bestimmt er das Wesen der Plastik Peter Parlers. Erich Bachmann untersucht sorgfältig das Wesen des Baukünstlers Parler. Gerade an diesem begabten Schüler Swobodas und an seinen weiteren tüchtigen und vielversprechenden Arbeiten, die den dritten und vierten Band der Beiträge füllen, hat es sich bereits erwiesen, welch erfreuliche Früchte die von Swoboda ausgestreuten Anregungen und seine intensive Lehrtätigkeit tragen und verheißen. Bachmanns "Sudetenländische Kunsträume im 13. Jahrhundert“ (der Titel klingt an Schwarzens Sudetendeutsche Sprachräume an) und eine gedrängte gemeinschaftliche Arbeit Swobodas und Bachmanns "Kunsträume in den Sudetenländern" zeigen, daß die geographische Betrachtungsweise, die schon für andere Wissensgebiete so vorteilhaft gebraucht wurde, sich auch für das Gebiet der Kunstgeschichte glücklich und mit gutem Erfolg anwenden lasse[59].

 

Auch in dieser Hinsicht weist die Kunstgeschichte hinüber auf das Gebiet, mit dem sie sonst schon und an sich mannigfache Berührung, namentlich durch die Volkskunst, hat, auf das Gebiet der Volkskunde. Hier hatte Gustav Jungbauer[60] das Erbe Adolf Hauffens zu bewahren; er war ihm ein getreuer gewissenhafter Verwalter, ein unermüdlich tätiger Mehrer. Er hat 1928 die "Sudetendeutsche Zeitschrift für Volkskunde" ins Leben gerufen, er hat – Hauffen war seiner akademischen Stellung nach zunächst Germanist und war es geblieben – an der deutschen Universität in Prag die selbständige Lehrkanzel, er hat das Seminar für Volkskunde geschaffen. Auch dem Geschichtlichen kam Jungbauer in mancher seiner Arbeiten nahe[61]. Anders sind die Aufgaben der Volkskunde im binnendeutschen Raume, anders im Grenzraume, anders  in der Sprachinsel; die sudetendeutsche Volkskunde ist Grenzland‑ und z. T. Sprachinselvolkskunde. So hat sie Jungbauer aufgefaßt; er hat sie nicht als für sich bestehend behandelt; denn auch er betrieb sein Fach durchaus im gesamtdeutschen Zusammenhang, wie das ja auch der Titel seines Werkes aussagt: Deutsche Volkskunde mit besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen.

 

Enger noch als sonst ist wohl im Grenzlande der Zusammenhang zwischen Volkskunde und Heimatkunde, und so ist es denn durchaus kein Zufall, daß Emil Lehmann[62], die treibende Kraft der sudetendeutschen Heimatbewegung, ihr gedanklicher Motor, 1926 eine Sudetendeutsche Volkskunde schrieb, nachdem "Der Sudetendeutsche" schon im Jahre vorher von ihm in einer Gesamtbetrachtung allen Deutschen (die das sehr nötig hatten) vorgestellt worden war. Beiträge zur sudetendeutschen Volkskunde heißt die stattliche Reihe, die, von A. Hauffen begründet und von G. Jungbauer geleitet, von der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag herausgegeben wurde und von der Akademie fortgesetzt wird. Volkskundliche Erforschung des Sudetendeutschtums ist ihr Gegenstand, und doch haben die Bände XXI und XXII gezeigt, wie bedeutsam die in Prag geleistete Arbeit für die ganze Volkskundeforschung werden kann. Band XXI enthält Bruno Schiers[63] Hauslandschaften, und Kulturbewegungen im östlichen Mitteleuropa, Band XXII den ersten Teil des Werkes Sudetendeutsche Volkstrachten von Josef Hanika[64]. Schier, ein Sudetendeutscher, hat seine wissenschaftliche Ausbildung an der Prager deutschen Universität erhalten, hat sich an ihr habilitiert und wirkt jetzt als Professor an der Leipziger und Preßburger Universität. Gleich Schier ist Hanika Sudetendeutscher; gleich jenem wurde seine Begabung von Gierach erkannt und gefördert; gleich ihm hat er, einst Hörer der Prager Universität, sich an ihr habilitiert; er wirkt  nunmehr als Professor an ihr. Von beiden ausgezeichneten Werken konnte Jungbauer mit Recht sagen, daß sie nicht allein für die Volkskundeforschung ihrer Heimat fruchtbarem Fort­schritt bedeuten, sondern der deutschen Volkskundeforschung in ihrer Gesamtheit Anregung geben. Und  mindestens bei Schiers Buch, das eine der großen wissenschaftlichen Leistungen ist, auf welche die sudetendeutsche Forschung stolz sein kann, reicht diese Wirkung noch weiter über den deut­schen Volksbereich hinaus. Wie aber diese Forschung aus der völkischen Jugendbewegung, von der eingangs dieses Übersichtsberichtes die Rede war, junge Kräfte sog, dafür bietet die Einleitung zu Hanikas wertvollem Buch ein Beispiel.

 

Volk und Heimat – dies war und ist der Kranz, der sich aus der Pflege all der genannten Wissenschaftszweige flicht und der vor allem die sudetendeutsche Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung einschließt. Beide sind nicht alt; auf Heimat und Volk, auf das kleinste Einzelne und auf das umfassendste Ganze sahen sich die Sudetendeutschon von allem Anfang an hingewiesen, seit sie von den Notwendigkeiten des Kampfes um ihren völkischen Bestand, um die Gestaltung ihrer politisch‑staatlichen Verhältnisse, um ihre wirtschaftliche Existenz darauf hingewiesen waren, ihr Heimatrecht durch den geschichtlichen Erweis des hohen Alters ihres nationalen Daseins, der Größe und Bedeutung ihrer Leistungen zu begründen und zu verteidigen. Und das taten sie nicht erst seit 1918. Als der gewaltige Umbruch dieses Jahres eintrat, da hatte das sechste Jahrzehnt des Bestandes des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen seine Mitte überschritten. Als er gegründet wurde, 1862, da bestand noch der Deutsche Bund und Böhmen und Mähren gehörten dazu, wie sie ja einst auch schon zum alten deutschen Reich gehört hatten. Der "Prager Geschichtsverein" hat schon in seinen Anfängen gesamtdeutsch gedacht und die alte Reichszugehörigkeit Böhmens betont. Und was 1867 der damals in Prag führende deutsche Historiker Konstantin Höfler gesagt hatte, das konnte auch noch siebzig Jahre später von den im Prager Geschichtsverein tätigen Historikern gelten: ... "Für uns war es ... kein Phantom, wenn wir von Deutschland sprachen; wir fühlten uns hier auf ganz legalem, auf legitimem, historischem Boden." Der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen hatte das größte Verdienst daran, daß diese 1918 nicht "geschichtslos" in die neue Zeit eintraten, geschichtslos auch vor sich selbst. Aber es war doch schon die alte oder doch die ältere Generation der Prager Historiker, die im Verein zusammenwirkte; es waren freilich auch die alten Aufgaben, die der Verein fortführte. Die Herausgabe der Vereinszeitschrift, die Erhaltung der wertvollen, viele Tausende zählenden Bücherei – das waren Aufgaben, deren Erfüllung nun noch schwerer wurde als je, auch wegen dem bereits erwähnten katastrophalen Rückganges der geldlichen Mittel. Die Zahl der Mitglieder ging zurück, die der Benützer der Bücherei (namentlich aus den Reihen der Heimatforscher) stieg. Was den Geschichtsfreund und so auch den Verein an sich erfreuen mußte, die mächtige Entfaltung des Heimatsinnes und damit dem geschichtlichen Interesses wenigstens am Heimatkundlichen, das mußte zu einer Einengung seines Arbeits‑ und Wirkungsfeldes, die zunehmende Verarmung des Sudetendeutschtums mußte zu einer Schrumpfung seiner Mitgliederzahl und damit wiederum seines Einkommens führen. Einst hatte der Verein nahezu alle die schon besprochenen Gebiete mitbetreut; in seinen Mitteilungen fanden sich Arbeiten über Vor‑ und Frühgeschichte, Mundartenforschung, Volkskunde, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, u. a. m.; mit der Zeit waren für viele von ihnen besondere Pflegestätten, für die Veröffentlichungen einzelner von ihnen besondere Organe erstanden. Die neu erwachte Heimatkundebewegung ließ eine Reihe landschaftlicher, ja auch örtlicher heimatgeschichtlicher Zeitschriften erstehen, so daß das rein Ortsgeschichtliche immer stärker in den "Mitteilungen" des Vereins zurücktrat.

 

In Brünn bildete der Deutsche Verein für die Geschichte Mährens und Schlesiens einen Mittelpunkt der deutschen landesgeschichtlichen Forschung; seine bewährte Zeitschrift blieb ihr Organ; im übrigen hatte er unter der Ungunst der Zeiten nicht weniger zu leiden und gegen ihre Schwierigkeiten nicht minder schwer zu ringen als der Prager Geschichtsverein und seine "Mitteilungen". Auch die Troppauer Zeitschrift für Geschichte und Kulturgeschichte Schlesiens wurde, geleitet von B. W. Braun, fortgeführt. Der neu erstandenen Zeitschrift "Sudeta" und der für Sudetendeutsche Volkskunde wurde schon gedacht. Zu den alten Zeitschriften, die nun im steigenden Maße auch geschichtliche Beiträge brachten, wie "Unser Egerland", "Erzgebirgszeitung", zu den um die Heimatkunde längst verdienten Mitteilungen des nordböhmischen Vereine für Heimatforschung und Wanderpflege (des früheren Nordböhmischen Exkursionsklubs), zu dem Jahrbuch des Riesengebirgsvereins (an dessen Gestaltung und Inhalt wie an der Erforschung der Geschichte der Deutschen in Ostböhmen Karl Schneider großen und verdienstvollen Anteil hat), zu den Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde des Jeschken‑ und Isergaues – kamen nun die Veröffentlichungen verschiedener heimatkundlicher Arbeitsgemein­schaften (so z. B. für die Iglauer Sprachinsel, den Schönhengst oder für den Bezirk Aussig‑Karbitz). Auch wenn es an den nötigen Bearbeitern nicht gefehlt hätte, das Sudetendeutschtum brachte die Geldmittel nicht mehr auf, um es etwa dem Geschichtsverein zu ermöglichen, die Unternehmung seiner Stadt‑ und Urkundenbücher so fortzuführen wie es nötig gewesen wäre. Immerhin konnte der Verein 1929 den VII. Band (der VI. war 1910 erschienen!) seiner Stadt‑und Urkundenbücher aus Böhmen, das von Aug. Müller mit großem Fleiße und warmer Hingabe bearbeitete Quellen‑ und Urkundenbuch des Bezirks Teplitz‑Schönau vorlegen[65]. Die Herausgabe des in mannigfacher Hinsicht bedeutsamen deutschen Rechts­denkmals, des Stadtbuches von Dux (1389), konnte durch die tatkräftige Mitwirkung des Vereins in Angriff genommen, materiell gesichert und in der umsichtigen Bearbeitung von Franz Kochmann[66] soweit in der Drucklegung vorbereitet werden, daß es, versehen mit einer aufschlußreichen Einführung Otto Peterkas über seinen Rechtsinhalt (wenn schon durch die Zeitumstände verspätet) 1941 erscheinen konnte.

 

In so schwerer Lage galt es vor allem den festen Entschluß: durchzuhalten, mit eigener Kraft und tunlichst mit eigenen Mitteln denn Verein über die kritischen Jahre hinwegzubringen. Es galt, das alte Bewährte zu erhalten und den jungen, sich emporringenden Kräften, den neuen Gestaltung nicht nur nicht hemmend in den Weg zu treten, sondern sie nach Möglichkeit zu fördern. So ist namentlich die Vereinsbücherei der aufblühenden Heimatforschung unentbehrlich gewesen, so fand mancher junge Studierende der Geschichte für seine Arbeiten hier nicht nur die benötigten Bücher, sondern im Vereinsheim auch eine ruhige Arbeitsstätte. Und es ging auch wieder aufwärts. Die Zeiten, die sich schon äußerlich an den schmal und schmäler werdenden Rücken der Jahrgänge der Mitteilungen erkennen lassen, gingen vorüber. Die Bände wurden wieder beleibter. Die Mitteilungen brachten Übersichten über die heimatkundlichen Zeitschriften und Veröffentlichungen; sie erhielten eine Beilage für Archiv‑ und Musealwesen. Ja, der Verein konnte – freilich nur drei (1926, 1929, 1934) – Jahrbücher neben seinen Mitteilungen herausbringen. Die alten verdienten Mitarbeiter – hier seien noch einmal dankend genannt der Nestor der sudetendeutschen Geschichtsschreiber Karl Siegl oder Georg Schmidt, der heimattreue Erforscher seiner westböhmischen Hei­mat – blieben treu, neue traten hinzu. Der Geschichtswissenschaft waren neue Kräfte erwachsen, welche an der alten Prager Universität wirkten und die Strömungen der neueren Entwicklung in das alte Bett der historischen Forschung leiteten, so etwa vor allem die Hirsch‑Schüler Pfitzner und Zatschek, so Ernstberger als Professoren, dann auch Josef Blaschka und Rudolf Schreiber als Dozenten. Die wirkte wie im ganzen, so auch auf den Geschichtsverein und seine Veröffentlichungen günstig zurück.

 

Seit 1937 gibt der Verein die Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte heraus. In der Sorge für die Zeitschrift wird der Herausgeber unterstützt von Gauverwaltungsdirektor Dr. Kurt Oberdorffer (Reichenberg), in ihrer Leitung und Gestaltung hat er an Dozent Dr. Rudolf Schreiber, Stadtarchivar von Prag, einen ebenso umsichtigen wie arbeitsbereiten Mitarbeiter und Helfer. Erfreulicherweise ist die Zahl der guten Beiträge so groß, ihr Inhalt so mannigfaltig, daß es der Raum nicht gestattet, mehr als eine kleine Auswahl von Beispielen anzuführen. Da legte Gustav Pirchan (auch er einst Schüler und dann Professor an der Prager deutschen Universität, der langjährige Ge­schäftsführer des Geschichtsvereins) die sechzigjährige Entwicklung des Ge­schichtsvereines im Wandel der Zeitgeschichte dar[67]. Da ließ Ferdinand Kloß "Das räumliche Bild der Grundherrschaft in Böhmen bis zum Ende des XIII. Jahrhunderts“ sehen[68]. Da enthüllte Josef Bergl, der gründliche Kenner der böhmischen Archivbestände, eifrigst um die Erforschung des Wallensteinproblems bemüht, den Verfasser der anonymen Schrift "Chaos perduellionis“, die Ranke als die vornehmste Quelle für Wallensteins angeb­liche und wirkliche Umtriebe ansah und der Srbik den größten Einfluß auf die Wallenstein-Historiographie zuschrieb[69]. Da schrieb Anton Blaschka seinen Ackermann‑Epilog in dem gleichen Jahrgang, den Heinz Zatschek mit seinen Karolinischen Studien einleitete[70]. Dem ersten Jahrbuch (1926) steuerte Hans Hirsch als ersten Beitrag (und leider als letzten – denn durch seine Berufung nach Wien verlor die Prager Universität diesen ausgezeichneten Lehrer und der Geschichtsverein sein Ausschußmitglied) seine Untersuchung zur Entwicklung der böhmisch‑österreichisch‑deutschen Grenze bei. Anton Blaschka stellte auf Grund der Glatzer Visitationsrolle von 1653 vorbildliche Studien Über die Grafschaft Glatz nach dem Dreißigjährigen Kriege an. Im Jahrbuch 2 (1929) ging Ernst Hoyer dem Sprachenrecht im Sachsenspiegel nach. Das dritte war dem Nestor der sudetendeutschen Historiker Emil Werunsky gewidmet. In einem der Beiträge, dem ersten, legt Karl Beer die bereits erwähnten "Neuen Forschungen über den Schöpfer des Dialogs 'Der Ackermann aus Böhmen' " vor. Als eine eindringende Untersuchung zur lateinischen Kunstprosa des Mittelalters stellt sich der Beitrag dem gründlichen Kenners des mittelalterlichen Latein Anton Blaschka, Das Prager Universitätsprivileg Karls IV. dar. Das von Kurt  Oberdorffer veröffentlichte Brüxer Losungsregister von 1525 gibt über die Verwaltung, die nationalen und wirt­schaftlich‑sozialen, die topographischen Verhältnisse von Brüx dankenswerte Aufschlüsse. Paul Wanie, der die Grundherren von Teplitz aufführt, läßt zugleich auch die Wandlungen der Rechtsstellung der Stadt und mit dem Ende der Untertänigkeit auch den Übergang der untertänigen Badestadt zu einer freien Stadt erkennen. In einer eingehenden Vergleichung des Egerer und Nürnberger Stadtrechts gelangte Wilhelm Weizsäcker zu der Erkenntnis, daß die Egerer Bürger das Recht der Nürnberger, ihrer "lieben Altväter“ gebrauchten, was noch nicht völlige Identität der beiden Stadtrechte be­deuten muß. In seinen Ausführungen "Zur nationalen Politik der Sudeten­deutschen in den Jahren 1848‑1849" behandelte Josef Pfitzner Fragen, die er schon in anderen noch zu nennenden Arbeiten aufhellend beleuchtet hatte. In den "Drei St. Wenzel‑Studien" zeigt Wilhelm Wostry u. a. den alten Zusammenhang Böhmens mit dem ostfränkischen Reiche bzw. Bayern (Regens­burg) und mit dem alten deutschen Reiche besonders zur Zeit Heinrichs I. und Ottos I. auf. In einem Kapitel aus der Diplomatik der Primislidenurkunden untersucht Heinz Zatschek den Aufbau der Zeugenreihen[71] und läßt hier (wie auch sonst) den deutschen Anteil im Personal und an der Aus­gestaltung der königlichen Kanzlei deutlicher erkennen, als das bisher der Fall war.

 

Dieses Kapitel schloß das dritte Jahrbuch ab. Gleich im ersten Heft der neuen Zeitschrift für Sudetendeutsche Geschichte legte Heinz Zatschek die volksgeschichtlichen Aufgaben für die ältere sudetendeutsche Geschichte dar. Er und seine Schüler haben noch im gleichen und den nächsten Jahrgängen einzelnen der hier gestellten Forderungen Rechnung getragen[72].

 

Wie sehr der Verein seine alte Stellung in Böhmen, sein Ansehen in den Kreisen der gesamten deutschen Geschichtsforschung behauptet hat, das ward 1937 offenbar bei seiner 75‑Jahrfeier, die sich zu einer großen deutschen, durch die Teilnahme zahlreicher Historiker, durch die Vertretung, zahlreicher Akademien, gelehrter, besonders geschichtsforschender Körperschaften aus dem Reiche, aus Österreich und von den deutschen Volksgruppen aller Welt offenbar: die Feier ward so zu einer gesamtdeutschen Kundgebung. Den Sudetendeutschen selbst aber gab ihr erhebender Verlauf das stärkende Gefühl der Zuversicht in schwerer Zeit: denn bald trat die tschechoslowakische Frage in die letzte und schwerste Phase ihrer inneren und äußeren Krise ein. Es ist weltbekannt, wer sie löste und wie sie gelöst wurde.

 

Schon dem letzten Hefte des zweiten Jahrganges konnte ein Gedenkblatt 1938 vorangestellt werden: 72 Jahre nach dem Ausscheiden der böhmischen Länder aus dem Deutschen Bunde sind die Sudetendeutschen von Adolf Hitler heimgeholt worden ins Reich, das erste Heft des dritten Jahrganges, ausgegeben April 1939, hält in einem neuen Gedenkblatt die Eingliederung Böhmens und Mährens ins Reich fest. Der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen aber ist nun zum Verein für Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern geworden.

 

Die Deutsche Gesellschaft der Wissenschaften in Prag ist zur Akademie geworden wie jener gesamtsudetendeutscher Verein geworden ist, für dessen Aufgaben sie in den Zeiten seiner schweren Bedrängnis stets helfendes Verständnis betätigt hatte. Auch sie hat sich in jenen zwanzig Jahren, die hier überblickt werden sollen, ständig mehr und stärker noch als vordem den durch die Erfordernisse der Zeitlage notwendig gewordenen Aufgaben zugewandt. Seit 1937 gibt Ernst Schwarz in ihrem Auftrage die Arbeiten zur sprachlichen Volksforschung heraus. Vorher wurde die Reihe der "Sudetendeutschen Lebensbilder" eröffnet; sie führen aus, was schon 1901 mit Unterstützung der Gesellschaft begonnen worden und unausgeführt bleiben mußte. 1905 hat August Sauer eine "deutsch‑böhmische Biographie" begründet gefordert. Jetzt entstand über Erich Gierachs Anregung und von ihm im Auftrage der Gesellschaft herausgegeben die Reihe der Lebensbilder[73].

 

Die historische Kommission der Gesellschaft veröffentlichte seit 1922 Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte. Das neue Unternehmen fand die denkbar beste Einführung durch die weithin anerkannte, vorbildliche Arbeit von Hans Hirsch: Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (1922). Schon das 2. Heft führt in den böhmischen Raum: Rudolf Hohmann (ein Schüler noch Emil Werunskys) erforschte und stellte die Anfänge der Stadt Leitmeritz dar. So waren es von allem Anfang an teils Probleme der engeren böhmisch‑mährischen Geschichte (z. B. Zatschek, Beiträge zur Diplomatik der mährischen Immunitätsurkunden, 1931, Ant. Blaschka, Die St. Wenzelslegende Kaiser Karls IV., 1934), teils solche der allgemeinen, besonders der deutschen Geschichte (Gustav Pirchan, Italien und Kaiser Karl IV. in der Zeit seiner zweiten Romfahrt, I., II. 1930, Anton Ernstberger, Österreich – Preußen von Basel bis Campoformio, 1932, Pfitzner, Bakuninstudien, 1932), welche in dieser Schriftenreihe behandelt wurden. 1934 trat eine Teilung ein; jene von der Gesellschaft (Akademie) veröffentlichten Arbeiten, die sich auf die Geschichte der Sudetenländer und des Sudetendeutschtums beziehen, sollen im Sudetendeutschen Historischen Archiv vereinigt worden. In diesem wieder sollten eine besondere Gruppe die Untersuchungen zu den Bevölkerungsverhältnissen Böhmens und Mährens bilden, für die Rudolf Schreiber, mit seinem Bande, Der Elbogener Kreis und seine Enklaven nach dem Dreißigjährigen Kriege (1935), ein – in solch gediegener Durchführung und mit so gesicherten Ergebnissen nur schwer wieder zu erreichendes – Beispiel gegeben hat[74].

 

Die starken Kräfte der jungen heimatkundlichen Bewegung sammelten sich nicht in Prag, sondern in Reichenberg. Nachdem sich schon der Deutsche Verband für Heimatforschung und Heimatbildung in der Tschechoslowakischen Republik gebildet hatte, schuf die Energie und die Organisationsgabe Gierachs in Verbindung mit Lehmann 1925 die Anstalt für Sudetendeutsche Heimatforschung (jetzt Sudetendeutsche Anstalt für Landes‑ und Volksforschung), an deren weiterer Ausgestaltung und Organisation Kurt Oberdorffer großes Verdienst hat. Durch sie oder doch in Verbindung mit ihr entstand eine Reihe wichtiger Unternehmungen, so z. B. die von Hans Hirsch herausgegebene Ostmitteldeutsche Bücherei. In ihrem ersten Bande stellte 1927 Josef Pfitzner[75] "Das Erwachen der Sudetendeutschen im Spiegel ihres Schrifttums bis 1848" dar. Die Arbeit behandelt – als erste – das im Titel angegebene Problem und ist so für die Geschichte des Sudetendeutschtums sehr wichtig. Sie hat im Rahmen der vorliegenden Betrachtung aus doppeltem Grunde ihren Platz: angeregt von August Sauer ist sie diesem gewidmet und ist so eines der Beispiele dafür, wie die ganze Bewegung Gedanken und Anregungen der älteren Generation aus‑ und fortführte. Und indem hier ein junger Historiker ein geschichtliches Problem mit einem Materiale behandelte, das zum größten Teile der Literaturgeschichte zugehört, zeigt sich jene eingangs erwähnte fruchtbare Verbindung von Geschichtsforschung und Germanistik an einem besonders einprägsamen Beispiele. In der gleichen Bücherei führte Eduard Winter[76] Ferdinand Kindermann von Schulstein, den hochverdienten sudetendeutschen Schulmann und Schulorganisator aus der Aufklärungszeit Maria Theresias, vor. Wie Pfitzner mit jener Arbeit ein Gebiet betreten hatte, das er mit noch mancher folgenden erfolgreich bestellte, so hat auch Winter mit der seinen vom Jahre 1927 (der noch andere Untersuchungen in gleicher Richtung folgten) ein sonst wenig angebautes Arbeitsfeld bestellt, auf dem der Geistesgeschichte durch ihn noch manche gute Frucht reifen sollte.

 

Aus den in der Vorgeschichtlichen Abteilung der Anstalt erschienenen Werken wurden die Arbeiten Menghins, Beningers und Freisings, Preidels zur Vorgeschichte Böhmens und Mährens und über die germanischen Bodenfunde beider Länder schon erwähnt[77]. Ein von der Anstalt geplantes Unternehmen ist das Sudetendeutsche Archiv. In den Sudetendeutschen Geschichtsquellen veröffentlichte der Mitherausgeber Wenisch[78] (neben Gierach und Hirsch) die Zunftordnungen aus Stadt und Bezirk Komotau. W. Weizsäcker hat der Ausgabe Wenischs eine die Bedeutung der Komotauer Zunftordnungen für die Geschichte des deutschen Zunftwesens untersuchende Einleitung vorangestellt. Ihm selbst hat die sudetendeutsche Anstalt die Herausgabe (und Einleitung) des Graupener Bergbuches von 1530 nebst einem Bruchstücke des Graupener Bergbuches von 1512[79] ermöglicht; mit ihrer Unterstützung und Förderung erschienen auch Wolkans Literaturgeschichte, Lehmanns Sudetendeutsche Volkskunde und Neuwirths (S. 514 erwähntes) Buch.

 

Der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen (in Mähren der Brünner Schwesterverein), die Deutsche Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, die Anstalt für Sudetendeutsche Heimatforschung in Reichenberg boten, jede Stelle in ihrer Weise, der sudetendeutschen Geschichtsforschung Rahmen und Rückhalt, Anregung und Möglichkeit der Drucklegung. Der Geschichtsverein hatte in seiner gesamtdeutschen Geschichtsauffassung, mit seinen in Jahrzehnten gesammelten Erfahrungen eine alte, bewährte Tradition zu wahren, er hatte in seiner Bücherei der Heimatforschung das Rüstzeug zu erhalten. Seine Veröffentlichungen gingen, namentlich im Tauschwege mit geschichtsforschenden Körperschaften, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus in alle Welt – sie gaben ihr Kunde von der geschichtlichen Stellung und Leistung der Sudetendeutschen und wirkten so einer vom neuen Staat geförderten und betriebenen Propaganda entgegen, die, wo es ging (und auch wo es nicht ging) das Sudetendeutschtum in Vergangenheit und Gegenwart für alle Zukunft unsichtbar machen wollte. Die Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, von Anfang an schon begründet zur Wahrung und Pflege der deutschen wissenschaftlichen Interessen, ist in ihren akademischen Unternehmungen ständig volks‑ und heimatverbundener geworden, manche der jüngeren Wissenschaftszweige haben ihr für reiche Unterstützung zu danken (Vorgeschichte, Ortsnamenforschung, Kunstgeschichte, Bevölkerungsgeschichte), manche hat sie ganz in ihre Obhut genommen (Flurnamenforschung, Sudetendeutsche Lebensbilder). Die stärksten Verbindungen mit den neuen Strömungen im nationalen wie im politischen und wissenschaftlichen Leben hatte die Reichenberger Anstalt. Obwohl verschieden im Alter ihrer Entstehung und dementsprechend auch in dem der tätigen Personen, obwohl dementsprechend den beiden ersten Stellen (Geschichtsverein und Gesellschaft der Wissenschaften) die ältere Generation das Gepräge gab, während die Anstalt eine Schöpfung und das Wirkensfeld der jüngeren war, und trotz der räumlichen Trennung war es doch vielfach derselbe Personenkreis, der in allen drei Stellen einhellig zusammenwirkte. Alte Erfahrung und junger Unternehmungsgeist wirkten auch hier zusammen wie sonst in der sudetendeutschen Bewegung.

 

Die drei genannten Stellen waren die Hauptorganisations‑ und Ansatzpunkte der sudetendeutschen Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung, sie haben diese durchaus nicht zur Gänze absorbiert. Hierfür wären als Beispiel anzuführen die Arbeiten von A. Gnirs über einen Limes und Kastelle der Römer vor der norisch‑pannonischen Donaugrenze und über die römischen Besatzungen im Lande der Markomannen und Quaden[80], seine Untersuchung zum kartographischen Beiwerk in den Bildern der Marcus‑Säule[81], oder sein Versuch des Nachweises, daß das Warmbad (im späteren Karlsbad) schon in der Römerzeit bekannt war[82]. Aus dem Archiv der Stadt Elbogen veröffentlichte er als Beiträge zur Sozial‑ und Wirtschaftsgeschichte der Kurstadt im 16.‑18. Jahrh. in Regestenform die Karlsbader Geschichtsquellen[83]. Auch das ehemalige herzogl. sächs.‑lauenburgische und markgräflich-badenische Amtsarchiv aus dem Schlosse Theussing in Böhmen hat ihm das Material für eine sachlich angeordnete, in Regesten gebrachte Auswertung seiner Bestände geboten[84]. Oder, um ein Beispiel aus anderem Gebiete zu geben: gleich im Anfang des von uns betrachteten Zeitraumes erschien der zweite Teil der deutschbetonten Kirchengeschichte Böhmens von August Naegle[85], dem eisernen Rektor der Prager deutschen Universität in jener Zeit. Im Ausgang des gleichen Zeitraumes steht das geistesgeschichtlich sehr aufschlußreiche Buch, in welchem Eduard Winter "Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum"[86] sich abrollen läßt. Vier Jahre vorher hatte er "Bernhard Bolzano und seinen Kreis" aus dem Nachlaß des Philosophen und seiner Freunde eingehend geschildert und gewürdigt[87].

 

In eine der dunkelsten, fast gänzlich noch unbeleuchteten Partien des so vielerörterten Wallensteinthemas, in die Kenntnis von Wallensteins kriegswirtschaftlichem Denken, Planen, Handeln und Organisieren brachte Anton Ernstberger[88] Licht durch eine seiner frühesten und doch schon sehr gehaltvollen und aufschlußreichen Arbeiten, die Hans Hirsch und Theodor Mayer in den Prager Studien aus dem Gebiete der Geschichtswissenschaft herausgaben. Die auch sonst in der Geschichte Böhmens immer wieder zutage tretende starke Verbindung des tschechischen Geisteslebens mit dem führenden deutschen wurde durch Josef Pfitzner[89] an dem prägnanten Beispiel Palacký und Luden in der Historischen Zeitschrift anschaulich gemacht. Wie Emil Schieche[90] einzelne seiner Arbeiten, besonders die über Johannes v. Neumarkt an außersudetendeutschen Stellen veröffentlichen ließ, so ist auch Josef Pfitzners "Karl IV."[91], vielfach die Geschichte Böhmens und sein Verhältnis zum Reiche berührend, in einer nicht von Prag oder Reichenberg ausgehenden Reihe erschienen. Eine besondere Seite des von Pfitzner wiederholt behandelten Problemkreises 1848 beleuchtete Fritz Hauptmann[92], indem er zeigte, wie sich die sudetendeutschen Politiker einstellten zu den drei großen staatsrechtlichen Fragen, die ihnen jenes Jahr vorlegte: zur großdeutschen, zur österreichischen, zur böhmischen (Verfassungs‑)Frage.

 

Auch die zusammenfassenden Darstellungen der sudetendeutschen Geschichte von A. Schmidtmayer[93], Geschichte der Sudetendeutschen, Der Weg der Sudetendeutschen, oder Pfitzners[94] Sudetendeutsche Geschichte, eine Vereinigung dreier Aufsätze, oder E. Volkmann (=Gierach)[95], Die Sudetendeutschen, sind nicht in den Schriften einer der drei genannten Stellen erschienen, ebenso Konrad Bittner, Deutsche und Tschechen[96], oder Richard Klier, Das Deutschtum Prags in der Vergangenheit, oder Fritz Koberg, Der Aufstieg der Tschechen in den letzten hundert Jahren.

 

Bei der Bedeutung, die das nationale Problem für die Sudetenländer hat, ist es begreiflich, daß das Volksbewußtsein Gegenstand der Untersuchung war. So ging Eugen Lemberg, "Wege und Wandlungen des Nationalbewußtseins", in seinen Studien zur Volkwerdung in den Niederlanden und in Böhmen nach[97] [sic]. Heinz Zatschek, auch sonst den Problemen der Volksforschung zugewandt, fing das Werden des Volksbewußtseins im Spiegel der Geschichtsschreibung auf[98]. In der Festschrift "Heimat und Volk" hat Anton Ernstberger 23 Arbeiten von Schülern Wostrys als Forschungsbeiträge zur Sudetendeutschen Geschichte gesammelt[99].

 

Daß Söhne der sudetendeutschen Heimat diese in ihrem wissenschaftlichen Wirken auch dann nicht vergaßen, wenn ihnen Lebensschicksale oder Beruf einen Wirkungsbereich außerhalb derselben anwiesen, dafür bietet schon im Eingang der hier betrachteten zwanzig Jahre ein Beispiel Karl Beer (Wien). Auf ein zweites sei für den Ausgang dieses Zeitraumes verwiesen. Hermann Aubin – er ist ein gebürtiger Reichenberger – hat, wennschon als akademischer Lehrer stets an (vom damaligen Prag aus gesehen) „reichsdeutschen“ Universitäten, erst im Westen, dann und derzeit im Osten, in Breslau, wirkend, sich seiner Heimat und den Volksgenossen in ihr nie entfremdet. Noch 1939 konnte er feststellen: "Wer vor einem Dutzend Jahren nach den Sudeten­deutschen gefragt hätte, dem wäre nur von sehr wenigen eine befriedigende Antwort zuteil geworden." Daß nun unbefriedigende Antworten auf jene Frage so viel seltener geworden sind, das ist gerade auch Hermann Aubin zu danken. Er hat in seiner schönen geschichtlichen Betrachtung "Die Sudetendeutschen", die er mit jener Feststellung einleitete, viel Aufklärendes, viel Ehrendes über den Namen und den Begriff, über den Werdegang und das Wesen der Sudetendeutschen gesagt. Nicht erst 1938/39 hat er sich die "Geschichtlichen Kräfte im Sudetenraum" vergegenwärtigt[100]. Unter diesem Titel hat er 1941 die Vorträge zusammengefaßt in dem Buche, durch dessen Widmung er die Historiker der Deutschen Karls‑Universität in Prag ehrte und zu Dank verpflichtete. Er hat in diese Zusammenfassung, die alle Vorzüge seiner ungewöhnlich hohen historischen Kunst der Darstellung erkennen läßt, außer den Vorträgen, mit denen er die großen Ereignisse des Jahres 1938/39 begleitet hatte, auch den Abdruck des Beitrags "Schlesische Siedlungsgeschichte beiderseits der Sudeten" aufgenommen[101], den er 1935/36 dem Schlesischen Jahrbuch beigesteuert hatte. Dieser ist ein Über­blick über den Stand und die wichtigsten Forschungsergebnisse zur schle­sischen Siedlungsgeschichte, in welchem u. a. die oben angeführten Arbeiten von Ernst Schwarz gewertet, hoch gewertet werden. Noch früher, 1930/31, hatte er die "Geschichtlichen Grundlagen der Gemeinsamkeit im gesamtschlesischen Raume"[102] umrissen und hier besonders an der wirtschaftlichen Entwicklung das Werden das gesamtschlesischen Raumes deutlich werden lassen.

 

Gerade Hermann Aubin ist zugleich auch ein Beispiel dafür, wie stark die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft im ganzen eingewirkt hat auf die sudetendeutsche Geschichtsforschung. Ein anderer, bedeutender Name ist schon erwähnt worden: Rudolf Kötzschke. Und noch ein dritter muß hier und gerade hier genannt werden: Albert Brackmann. Wie von diesem deutschen Gelehrten starke Anregungen überhaupt und besonders in der Ostforschung ausgegangen sind, so hat auch die sudetendeutsche Geschichtsforschung viel Anlaß dankbar seiner zu gedenken. Was er für die deutsche Ostgeschichte des 8.‑10. Jahrh. erschlossen hat, das hat den sudetendeutschen Historikern viele höchst wertvolle Erkenntnisse, manch tiefe Einsicht in ein Zeitalter vermittelt, das gerade für den Sudetenraum und für seine Stellung im Imperium von grundlegender Wichtigkeit ist. Die Sudetendeutsche Geschichtsforschung erfüllt nur eine Dankespflicht, wenn sie sich in die Reihe derer stellt, die dem hochverdienten Forscher ihre Verehrung bezeugen.

 

Die in 20 Jahren geleistete Einzelforschung erforderte zusammenfassenden Überblick. Im rein Geschichtlichen (im engeren Sinne) hielt ihn für das Mittelalter Heinz Zatschek, für die Zeit zwischen Hussitensturm und Dreißigjährigen Krieg Wilhelm Wostry, für die neueren Jahrhunderte Anton Ernstberger, für die jüngste Vergangenheit Josef Pfitzner. Eine Gesamtüberschau bot Kurt Oberdorffer, einen methodisch‑erkenntnistheoretisch unterbauten Ausblick eröffnete Heinz Prokert[103].

 

Im ganzen läßt sich sagen, daß die sudetendeutsche Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung[104] in ihrer Breite heimatkundlich, in ihren Ursprüngen gesamtdeutsch und in ihren letzten Zielen Volksforschung war. Das offenbart auch das stattliche Sammelwerk "Das Sudetendeutschtum. Sein Wesen und Werden im Wandel der Jahrhunderte", herausgegeben von Gustav Pirchan, Wilhelm Weizsäcker, Heinz Zatschek[105]. Im Zusammenhang der Forschungsergebnisse der Beitragenden wurde hierbei zusammenfassend noch einmal von Gustav Pirchan[106] sozusagen die Summe gezogen aus dem, was die sudetendeutsche Geschichtsforschung erarbeitet hatte. Es ist wahrlich kein geringer Ertrag namentlich der letzten zwanzig Jahre (und es waren Leidensjahre!), mit dem sie der Zukunft entgegengehen kann durch das Tor, das ihr vom Führer am Ende dieser zwanzig Jahre in Erfüllung einer tiefen Sehnsucht des ganzen deutschen Volkes aufgetan worden ist.

 



[1] Rudolf Lodgman von Auen, “Um Recht und Freiheit”. Warnsdorf 1920.

[2] MVGDB. 59, 1921, S. 165. Merke: J. B.

[3] Für die politische Entwicklung siehe unter vielem anderen: Hans Krebs, Kampf in Böhmen. 4. Auflage. Berlin 1938. – Kurt Vorbach (Viererbl), 200000 Sudetendeutsche zu viel! Der tschechische Vernichtungskampf gegen 3 ½ Millionen Sudetendeutsche und seine volkspolitische Auswirkung. München 1936. – Rudolf Jung, Die Tschechen. Berlin 1937. – Walter Schneefuß, Deutschböhmen. Berlin 1938. – Für die Einheitsbewegung Josef Pfitzner, Sudetendeutsche Einheitsbewegung. Werden und Erfüllung. Karlsbad 1934.

[4] Siehe: Josef Pfitzner, Hans Hirsch als Lehrer und Mensch. Heinz Zatschek, Hans Hirsch, der Gelehrte und sein Werk. Beide ZsudG. 4, S. 204ff., 213ff. – E. Stengel, Hans Hirsch. Ein Nachruf. DAGM. 5, 1941, S. 178. Die obenzitierte Seite hier S. 181.

[5] Hugo Hassinger, Die Tschechoslowakei. Wien 1925. – Fritz Machatschek, Landeskunde der Sudeten- und Westkarpatenländer. Stuttgart 1927.

[6] Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Kulturpolitischen Gesellschaft und ihres “Instituts für Auslandkunde und Auslanddeutschtum” (eröffnet im November 1918) von Hugo Grothe. Erschienen 1919 im 5. Jg., H. 1-4 der Unabhängigen Zeitschrift für geistige, politische und wirtschaftliche Ziele deutscher Arbeit im In- und Auslande, Deutsche Kultur in der Welt.

[7] Gustav Pirchan, Deutschböhmens Schicksalskampf in der Geschichte. Ebenda, H. 1, S. 4-13.

[8] Adolf Zycha, Deutschböhmen und das böhmische Staatsrecht. Ebenda, S. 25-28.

[9] Deutschböhmen. Herausgegeben von R. Lodgmann. Hier: Alfons Dopsch, Die historische Stellung der Deutschen in Böhmen. Berlin 1919.

[10] Raimund Friedr. Kaindl, Böhmen. Zur Einführung in die böhmische Frage. Leipzig 1919. (Aus Natur- und Geisteswelt, 701. Bändchen.)

[11] Karl Beer, Geschichte Böhmens mit besonderer Berüchsichtigung der Geschichte der Deutschen in Böhmen. Reichenberg 1921. (Das Vorwort ist datiert: Wien, am 15. August 1920.) 2. Aufl. 1922.

[12] Bert. Bretholz, Geschichte Böhmens und Mährens. 4. Bde. Reichenberg 1921-24. – Derselbe, Neuere Geschichte Böhmens und Mährens bis z. Aussterben d. Přemysliden. München 1912. – Derselbe, Neuere Geschichte Böhmens. Bd. I. Gotha 1920. (Allg. Staatengesch. Werk 40.) Bretholz war Jude.

[13] Ad. Bachmann, Geschichte Böhmens. Gotha 1899. I, S. 71f. – Beer, a.a.O., 2. Aufl., S. 7. – E. Gierach, Aus Böhmens deutscher Vergangenheit. (Sind die Deutschen als Kolonisten und Emigranten nach Böhmen gekommen?) Böhmerland-Flugschrift. 2. Aufl. (1920). – Derselbe, “Wer war zuerst da?” Böhmerland-Jb. 1920, S. 26. – Em. Schwab, Alt-Iglau.

[14] Mit der Theorie Bretholz und den einschlägigen Fragen setzte sich eingehend auseinander: Wilhelm Wostry, Das Kolonisationsproblem. Eine Überprüfung der Theorien über die Herkunft der Deutschen in Böhmen. Prag 1922. (Sonderdruck aus MVGDB. 60, 1922.)

[15] Sudeta, Zeitschr. f. Vor- und Frühgeschichte. Bodenbach (später Brüx) 1925ff.

[16] Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung. Vorgeschichtliche Abteilung. H. 4. Reichenberg 1934.

[17] Ebenda.

[18] Johannes Stauda-Verlag, Kassel-Wilhelmshöhe.

[19] Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung. Vorgeschichtliche Abteilung. H. 4. Reichenberg 1934.

[20] Mitt. d. Deutsch. Gesellsch. d.  Wissensch. In Prag. Streit-Glott, Prag (Calve) 1938.

[21] Leonhard Franz, in: Das Sudetendeutschtum. 2. Aufl. Reichenberg 1939, S. 3ff.

[22] L. Franz, a.a.O., S. 29. – Lothar Zotz, Böhmen-Mähren im raumpolitischen Wechselspiel vorgeschichtlicher Völker. In: Raumforschung und Raumordnung V. (1941), S. 458.

[23] Ernst Schwarz, Zur Namensforschung und Siedlungsgeschichte in den Sudetenländern. Prager deutsche Studien, H. 30 (1923).

[24] Ernst Schwarz, Aufgaben der deutschen Sprachforschung in den Sudetenländern I. DHVKF. 1, 1930. – Derselbe, Fortschritte und Aufgaben der Sprachwissenschaftlichen Volksforschung in den Sudetenländern. DALV. 1937, S. 216ff.

[25] Dies nach Ernst Schwarz, Fortschritte, a.a.O., S. 217.

[26] Forschungen z. Deutschtum d. Ostmark. Im Auftrage der Preuß. Akad. d. W. hrsg. Zweite Folge, 2. Bd. München u. Berlin 1931. – Ernst Schwarz, Deutsche Siedlung in den Sudetenländern im Lichte sprachlicher Volksforschung. (In: Das Sudetendeutschtum, 1. c.) 

[27] Sudetendeutsches Ortsnamen-Buch. In der Berichtszeit erschienen als Heft 1: Die Ortsnamen des Bezirkes Reichenberg von E. Gierach; H. 2: Gablonz von E. Schwarz, 1933; Friedland von E. Gierach, 1935; H. 4: Falkenau von R. Fischer, 1938;

H. 5: Hohenelbe von E. Müller, 1938.

[28] Sudetendeutsches Flurnamen-Buch. 1. H.: Die Flurnamen des Bezriks Gablonz von E. Schwarz, Prag 1935; 2. H.: Freudenthal von H. Weinelt, Reichenberg 1937; 3. H.: Römerstadt von W. Friedrich, Reichenberg 1939; 4. H.: Eger von

R. Fischer, Reichenberg 1941.

[29] E. Schwarz, Sudetendeutsche Sprachräume. München 1935. (Schr. d. dt. Akademie in München. H. 21.) – Siehe auch Ernst Schwarz, Die mundartlichen Grundlagen des Gesamtschlesischen Sprachraumes. Schl. Jb. 7, 1935, S. 15-28.

[30] H. Weinelt, Die mittelalterliche deutsche Kanzleisprache in der Slowakei. In: Dt. Ges. d. Wissenschaften u. Künste in Prag von E. Schwarz. H. 2, 4. Brünn 1938. – Jos. Pfitzner, Die Besiedlung der Sudeten bis zum Ausgang des Mittelalters. Beide in DHVKF. 1, 1930/31.

[31] Theodor Mayer, Aufgaben der Siedlungsgeschichte in den Sudetenländern. DHVKF. 1, 1930.

[32] Jos. Pfitzner, Gesch. d. Bergstadt Zuckmantl i. Schl. Zuckmantl 1925. – Derselbe, Besiedlungs-, Verfassungs- u. Verwaltungsgesch. D. Breslauer Bistumlandes. Reichenberg 1926. (In: Prager Studien a. d. Geb. der Gesch.-Wissensch.,

H. 18.)

32a Val. Schmidt (Schrift. z. Gunst. d. Böhmerwaldmus. in Oberplan. Gel. v. G. Jungbauer). – H. Zatschek, Die Witigonen u. d. Besiedlung d. Südböhmens (DALV. 1, 1937). – Karl Berger, Die Besiedlung d. deutschen Nordmährens im 13. u. 14. Jahrh. Brünn 1933. – V. Karell, Das Erzgebirge u. s. Besiedlung. Kaaden 1924. – H. Sturm, Grundzüge d. Besiedlung Nordwestböhmens (in: Für Heimat u. Volk I, 1934). – Jos. Blau, Geschichte d. deutschen Siedlungen im Chodenwald. Pilsen 1937.

[33] v. Maydell, Forschungen z. Siedlungsgesch. u. z. d. Siedlungsformen d. Sudetenländer (DALV. 2, 1938): - Em. Schwab, hrsg. v. Wissensch. Institut f. Kultur u. Gesch. d. Sudetendeutschtums.

[34] Heimatkunde des Bezirkes Komotau, hrsg. v. Deutschen Bezirkslehrerverein Komotau. Komotau 1927f. – Heimatkunde des Bez. Reichenberg, hrsg. v. E. Gierach u. A. Ressel. Reichenberg 1931f. – Heimatkunde d. Bez. Friedland i. B., hrsg. v. E. Gierach u. J. Schubert. Friedland 1926f.

[35] H. Lorenz, Bilder aus Alt-Joachimsthal. St. Joachimsthal 1925. – H. Sturm, Joachimsthaler Privatbüchereien aus dem 16. Jahrhundert. MVGDB. 68. – H. Kux, Geschichte der Stadt Olmütz. Olmütz 1936.

35a H. Reutter, ZVG.Mähr. XXXV, 1935. – Ant. Hönig, Deutscher Städtebau in Böhmen. Berlin 1921.

[36] Georg Schmidt, Burgen Westböhmens. 2 Bde. Mies 1925, 1928. – H. Weinelt, Probleme schlesischer Burgenkunde, gezeigt an den Burgen des Freiwaldauer Bezirkes. Breslau 1936. – Derselbe, Burgenbau und Kolonisation im mitteldeutschen Osten. AVF. 2, 1938, S. 366-373. – Karl Vogt, Die Burg in Böhmen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Forschgn. Z. sudetendeutschen Heimatkunde, H. 8. Reichenberg 1938.

[37] Karl R. Fischer, Die Schürer von Waldheim. Prag 1921. Siehe auch K. R. Fischer, Sudetendeutsche Lebensbilder. I, S. 222f.

[38] Margarete Klante, Das Glas des Isengebirges. Eine siedlungs- und wirtschaftsgeschichtliche Studie. DALV. 2, 1938,

S. 575-599.

[39] Arno Kuntze, Die nordböhmisch-sächsische Leinwand und der Nürnberger Großhandel. Reichenberg 1926. (Forschgn. Z. sudetendeutschen Heimatkunde, H. 1.)

[40] Otto Peterka (in: Das Sudetendeutschtum, 1. c., S. 161-197). – Das Volkskundliche berührt Jos. Blau, Der böhmische Bettfedernhandel. MVGDB. 69 (1931).

[41] Margarete Klante (unter Mitwirkung von J. Jüttner, A. Musil, A. Watznauer, F. Wernicke), Bergbau und Metallwirtschaft im Sudetenraum. DALV. 3, 1939, S. 78-101.

[42] W. Weizsäcker, Sächsisches Bergrecht in Böhmen. Das Jaochimsthaler Bergrecht des 16. Jahrhunderts. Reichenberg 1929. (Forschgn. z. sudetendeutschen Heimatkunde, H. 5.)

[43] Otto Peterka, Rechtsgeschichte der böhmischen Länder, 2 Bde. Reichenberg 1923, 1928. – W. Weizsäcker, Das Recht. In: Das Sudetendeutschtum, 1. c., S. 117-158.

[44] Rudolf Wolkan, Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen und in den Sudetenländern. Augsburg 1925.

[45] Josef Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 2 und 4. Regensburg 1913, 1932. – Derselbe, Das Schrifttum der Sudetendeutschen. Regensburg 1924.

[46] August Sauer, Kulturpolitische Reden und Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Josef Pfitzner. Reichenberg 1928.

[47] Erich Gierach, Die deutsche Dichtung der Sudetenländer im Mittelalter. In: Das Sudetendeutschtum. 2. Aufl., S. 199-218.

[48] Erich Gierach, Studien zum Märterbuch. In: Deutsche Texte des Mittelalters, 32. Berlin 1928. – Gerhard Eis, Die Quellen des Märterbuches. In: Prager deutsche Studien, hrsg. V. E. Gierach und H. Cysarz, H. 46. Reichenberg 1932. – Friedrich Repp, Herzog Ernst, das Werk Ulrichs von Eschenbach, eine sudetendeutsche Dichtung des 13. Jahrh. MVGDB. 65, 1927, S. 69-95.

[49] K. J. Heilig, Die lateinische Widmung des „Ackermann aus Böhmen“. MöJG. 47. – Konrad Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation. 3. Bd., hier Teil 1, Text, hrsg. von Alois Bernt und Konrad Burdach. Bernt ist um die Ackermannforschung und auch sonst hochverdient (Forschgn. z. „Ackermann aus Böhmen“. Zeitschr. f. dt. Philologie, 55, 1930). – Zur Person des Ackermanndichters. Ebenda 56, 1931. – Bernt, Johannes von Saaz. In: Sudetendeutsche Lebensbilder, Bd. 2. – Ausgabe: Der Ackermann aus Böhmen. Heidelberg 1929. In: Altdeutsches Schrifttum aus Böhmen, hrsg. von E. Gierach, Bd. 1. – Karl Beer, Einige Bemerkungen zur neuren Ackermannforschung. Zeitschr. f. dt. Philologie 56, 1931. – Derselbe, Neue Forschungen über den Schöpfer des Dialogs „Der Ackermann aus Böhmen“. Jb. d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 3. – Derselbe, Johannes von Schüttwa. In: Sudetendeutsche Lebensbilder, Bd. 3. – Anton Blaschka, Das St. Hieronymus-Offizium des Ackermanndichters. In: Heimat und Volk, hrsg. von A. Ernstberger. Brünn 1937, S. 107-155. – Derselbe, Ackermann-Epilog- MVGDB. 73. – Heinz Zatschek, Officium sancti Hieronymi. In: Monumenta palaeographica 3. Serie, Bd. 2. – G. Pirchan, Rhetor und Poeta. ZsudG. 2, 1938. – Siehe auch R. Schreiber, Peter Rothirsch von Prag, der Freund des Ackermanndichters. ZsudG. 4, 1940. – Über den gegenwärtigen Stand der „Ackermann“-Forschung unterrichtet Erich Trunz, ZsudG. 5, 1941, S. 245-269.

[50] Herbert Cysarz, Die großen Themen der sudetendeutschen Schrifttumsgeschichte. Durchblick und Ausblick. In: Das Sudetendeutschtum. 2. Aufl., S. 567-597.

[51] Augsburg 1926. (In den Veröffentlichungen der Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung.)

[52] Julius Leisching, Kunstgeschichte Mährens. Brünn – Prag – Wien – Leipzig 1933.

[53] Anton Gnirs, Die Topographie der historischen und Kunstdenkmale des politischen Bezirks Elbogen. Brünn 1927 (43. Bd. Der Topographie der historischen und Kunstdenkmale in der Tschecholowakischen Republik). – Derselbe, Tepl u. Marienbad, 1932 (50. Bd. der Topographie). – Karl F. Kühn, Die Topographie der historischen und Kunstdenkmale im politischen Bezirk Reichenberg. Brünn 1934 (51. Bd. der Topographie).

[54] E. W. Braun, durch lange Jahre Direktor des Landesmuseums in Troppau.

[55] Josef Opitz, Die Plastik in Böhmen zur Zeit der Luxemburger. 1. Teil. Prag 1936.

[56] Otto Kletzl, Plan-Fragmente aus der deutschen Dombauhütte zu Prag in Stuttgart und Ulm. Stuttgart 1939. – Derselbe, Die deutsche Kunst in Böhmen und Mähren. Berlin 1941.

[57] Alfred Wenzel, Die Baugeschichte der klosterkirche in Trebitsch. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft V, 1929,

S. 353f.

[58] Oskar Schürer und Erich Wiese, Deutsche Kunst in der Zips. Brünn – Wien – Leipzig 1938. – Oskar Schürer, Prag. Kultur, Kunst, Geschichte. Brünn 1930, 3. Aufl., 1939.

[59] Karl M. Swoboda, Zum deutschen Anteil an der Kunst der Sudetenländer. In: Das Sudetendeutschtum. 2. Aufl., S. 218-264; zugleich auch Bd. 1 der Beiträge zur Geschichte der Kunst im Sudeten- und Karpatenraum, hrsg. Im Auftrage der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste in Prag von Karl M. Swoboda. – Karl M. Swoboda u. Erich Bachmann, Studien zu Peter Parler. Beiträge 2. Bachmanns Sudetenländische Kunsträume. Beiträge 4 und die im Texte angeführte kurze Gemeinschaftsarbeit (Raumforschung und Raumordnung 5, 1941, S. 596-604) sind nach 1938 erschienen.

[60] Gustav Jungbauer, Deutsche Volkskunde mit besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen. Brünn – Reichenberg 1936. – Derselbe, Geschichte der deutschen Volkskunde. Zeitschr. f. Sudetendeutsche Volkskunde, 2. Beiheft. Prag 1931.

[61] Gustav Jungbauer, Staatsgrenzen und Volkskunde. Zeitschr. f. Volkskunde N. F., Bd. 2 (1931).

[62] Emil Lehmann, Der Sudetendeutsche. Eine Gesamtbetrachtung. Potsdam 1925. – Derselbe, Sudetendeutsche Volkskunde. Leipzig 1926.

[63] Bruno Schier, Hauslandschaften und Kulturbewegung im östlichen Mitteleuropa. Reichenberg 1932.

[64] Josef Hanika, Sudetendeutsche Volkstrachten. Teil 1: Grundlagen der weiblichen Tracht. Kopftracht und Artung. Reichenberg 1937.

[65] Quellen- und Urkundenbuch des Bezirks Teplitz-Schönau bis zum Jahre 1500. Bearbeitet von Aug. Müller. Prag 1929. (Stadt- und Urkundenbücher aus Böhmen. Hrsg. im Auftr. d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, Bd. 7.) – Es ist ein Zeichen des Verständnisses für aufgaben der geschichtlichen Heimatkunde, daß der Band gedruckt wurde auf Kosten der damaligen Bezirksvertretung Teplitz-Schönau.

[66] Das Stadtbuch von Dux 1389. Bearbeitet von Karl Kochmann. Prag 1941. (Stadt- und Urkundenbücher aus Böhmen, Bd. 8.) Zu den Kosten dieses Bandes trug neben dem Verein für Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern der Verein “Deutsches Heimatmuseum” in Dux bei.

[67] MVGDB. 61, 1923, S. 69-116.

[68] Ebenda, Jahrg. 70, 1932, S. 1-27, 133-219; Jahrg. 71, 1933, S. 1-94, 103-112.

[69] Ebenda, Jahrg. 72, 1934, S. 84-102.

[70] Ebenda, Jahrg. 74, 1935, S. 73-86.

[71] Jb. D. VGDB. 1-3, 1026, 1929, 1934.

[72] ZsudG. 1, 1937, S. 42-55, 249-255, 256-268; 3, 1939, S. 1-11; 4, 1940, S. 25-81, 113-168, 241-257; 5, 1941, S. 30-50.

[73] Bd. I-III. Reichenberg 1932-1935.

[74] Sämtliche der genannten Arbeiten sind unter ihren oben angegebenen Titeln und in den angeführten Jahren erschienen ind den “Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte” bzw. Im “Sudetendeutschen historischen Archiv”, beide Reihen hrsg. von der Deutschen Gesellschaft (jetzt Akademie) der Wissenschaften in Prag.

[75] Augsburg 1926.

[76] Ostmitteldeutsche Bücherei, Bd. 2, 1927.

[77] Siehe oben, S.504, Anm. 16, 17, 19.

[78] Rud. Wenisch, Zunftordungen aus Komotau. Reichenberg 1936.

[79] Das Graupener Bergbuch v. 1530, hrsg. von W. Weizsäcker. Reichenberg 1932.

[80] Sudeta 4, 5.

[81] In: Epitymbion, Heinrich Swoboda dargebracht. Reichenberg 1927.

[82] Anton Gnirs, Karlsbad in seiner ältesten Vergangenheit.

[83] Derselbe, Karlsbad 1929.

[84] Derselbe, Brünn 1933.

[85] August Naegle, Kirchengeschichte Böhmens. Prag 1915, 1918. I, 1, 2.

[86] Eduard Winter, Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Salzburg 1937.

[87] Eduard Winter, Bernhard Bolzano und sein Kreis. Leipzig 1933.

[88] Anton Ernstberger, Wallenstein als Volkswirt im Herzogtum Friedland. In: Prager Studien aus dem Gebiete der Geschichtswissenschaft. H. 19 (1927).

[89] Josef Pfitzner, Palacky und Luden. HZ. Bd. 141 (1929).

[90] Z. B. Emil Schieche, Die Herkunft Johanns von Neumarkt. Archiv f. Kulturgeschichte 20, S. 16-35.

[91] Josef Pfitzner, Karl IV. Potsdam 1938. (In: Deutsche Könige und Kaiser.)

[92] Fritz Hauptmann, Die staatsrechtlichen Bestrebungen der Sudetendeutschen im Jahre 1848. Komotau 1924.

[93] A. Schmidtmayr: Karlsbad 1936, 1939.

[94] J. Pfitzner: Reichenberg 1935, 2. Aufl. 1938.

[95] Erich Gierach, in: Manns Pädagog. Magazin 1929.

[96] K. Bittner: Brünn 1935. – R. Klier: Karlsbad 1936. – F. Koberg: Reichenberg 1929.

[97] E. Lemberg: Münster 1934.

[98] Heinz Zatschek, Das Volksbewußtsein. Sein Werk im Spiegel der Geschichtsschreibung. Brünn 1936.

[99] Heimat u. Volk. Forschungsbeiträge z. suddt. Gesch. Brünn 1937.

[100] Hermann Aubin, Geschichtliche Kräfte im Sudetenraum. Breslau 1941.

[101] SchlJb. 8, 1935/36.

[102] SchlJb. 3, 1930/31.

[103] Das Sudetendeutschtum. 2. Aufl., S. 41-92, 265-306, 307-388, 437-471. – K. Oberdorffer, Das Sudetenland in der deutschen Geschichte. Jena 1938. – H. Prokert, Probleme der Geschichtsbetrachtung in den Sudetenländern. (In: Heimat u. Volk, 1937.)

[104] Die obige Darstellung führt, mit geringer Ausnahme, Arbeiten zur sudetendeutschen Geschichte oder doch zur Geschichte der Sudetenländer an, Arbeiten, deren Verfasser Sudetendeutsche sind, d. h. die aus dem Sudetenraum gebürtig oder doch in ihm während 1918 und 1938 gweirkt haben. Arbeiten sudetendeutscher Autoren, die auf die sudetendeutsche Geschichte oder auf die des Sudetenraumes nicht näher oder auch nur entferteren oder gar keinen Bezug haben, sind nicht genannt, auch wenn es an sich bedeutende Leistungen sind. So sind z. B. Gerade die bedeutendsten Arbeiten Zatscheks nicht genannt, so auch nicht etwa Pfitzners Großfürst Witold; andererseits sind auch Arbeiten nicht-sudetendeutscher Autoren nicht genannt, sie sich auf die Geschichte derSudetenländer oder auf die Sudetendeutschen selbst beziehen. Bibliographische Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Die angeführten Arbeiten sind als Beispiele gewählt; ihre Anführung oder die Nichtanführung anderer bedeutet an sich keine Wertung.

[105] Brünn 1937. 2. Aufl. 1939. Auf einzelne der Beiträge dieses Werkes ist oben schon hingewiesen worden.

[106] Gustav Pirchan, Das Sudetendeutschtum im Wandel der Jahrhunderte. In: Das Sudetendeutschtum, 2. Aufl. 1939,

S. 599-649.