František Palackýs berühmter Brief nach Frankfurt 1848


zit. aus Franz Palacký: Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland. An den Fünfziger-Ausschuß zu Handen des Herren Präsidenten Soiron in Frankfurt a. M., in: Franz Palacký: Oesterreichs Staatsidee, Prag 1866, S. 79-86 (nach dem Nachdruck des Verlags des wissenschaftlichen Antiquariats H. Geyer, Wien 1974)

P.P.

Das Schreiben vom 6 April l. J., womit Sie, hochgeehrte Herren! mir die Ehre erweisen, mich nach Frankfurt einzuladen, um an Ihren „hauptsächlich die schleunigste Berufung eines deutschen Parlaments“ bezweckenden Geschäften Theil zu nehmen, – ist mir so eben von der Post richtig zugestellt worden. Mit freudiger Überraschung las ich darin das vollgültige Zeugniß des Vertrauens, welches Deutschlands ausgezeichnete Männer in meine Gesinnung zu setzen nicht aufhören; denn indem sie mich zur Versammlung „Deutscher Vaterlandsfreunde“ berufen, sprechen sie mich selbst von dem eben so ungerechten als oft wiederholten Vorwurfe frei, als habe ich mich gegen das deutsche Volk jemals feindselig bewiesen. Mit wahrem Dankgefühle erkenne ich darin die hohe Humanität und Gerechtigkeitsliebe dieser ausgezeichneten Versammlung an, und finde mich dadurch um so mehr verpflichtet, ihr mit offenem Vertrauen, frei und ohne Rückhalt zu antworten.

Ich kann Ihrem Rufe, meine Herren! weder in eigener Person, noch durch Abordnung eines anderen „zuverlässigen Patrioten“ an meiner Statt Folge leisten. Erlauben Sie mir, die mich bestimmenden Gründe Ihnen so kurz als möglich vorzutragen.

Der ausgesprochene Zweck ihrer Versammlung ist, einen d e u t s c h e n V o l k s b u n d an die Stelle des bisherigen F ü r s t e n b u n d e s zu setzen, die deutsche Nation zu wirklicher Einheit zu bringen, das deutsche Nationalgefühl zu kräftigen und Deutschlands Macht dadurch nach Innen und Außen zu erhöhen. So sehr ich auch dieses Bestreben und das ihm zu Grunde liegende Gefühl achte, und eben weil ich es achte, darf ich mich daran nicht betheiligen. Ich bin kein Deutscher, fühle mich wenigstens nicht als solcher, – und als bloßen meinungs- und willenlosen Ja-Herren haben Sie mich doch gewiß nicht zu sich berufen wollen, folglich müsste ich in Frankfurt entweder meine Gefühle verläugnen und heucheln, oder bei sich ergebender Gelegenheit laut widersprechen. Zum ersten bin ich zu offen und zu frei, zum zweiten nicht dreist und rücksichtslos genug; ich kann es nämlich nicht über’s Herz gewinnen, durch Misslaute einen Einklang zu stören, den ich nicht allein in meinem eigenen Hause sondern auch beim Nachbar wünschenswerth und erfreulich finde.

Ich bin ein Böhme slavischen Stammes, und habe ich mit all dem Wenigen, was ich besitze und was ich kann, mich dem Dienst meines Volkes ganz und für immer gewidmet. Dieses Volk ist zwar ein kleines, aber von jeher ein eigenthümliches und für sich bestehendes; seine Herrscher haben seit Jahrhunderten am deutschen Fürstenbunde Theil genommen, es selbst hat sich aber niemals zu diesem Volke gezählt, und ist auch von Andern im Ablauf aller Jahrhunderte niemals dazu gezählt worden. Die ganze Verbindung Böhmens zuerst mit dem heil. römischen Reiche, dann mit dem deutschen Bunde, war von jeher ein reines Regale, von welchem das böhmische Volk, die böhmischen Stände kaum jemals Kenntniß zu nehmen pflegten. Diese Thatsache ist allen deutschen Geschichtsforschern wohl eben so gut, wie mir selbst bekannt; und sollte sie ja noch von Jemanden in Zweifel gezogen werden, so bin ich erbietig, sie seiner Zeit bis zur Evidenz sicher zu stellen. Selbst bei der vollen Annahme, daß die böhmische Krone jemals im Lehensverbande zu Deutschland gestanden (was übriges von böhmischen Publizisten von jeher bestritten wird), kann es keinem Geschichtskundigen einfallen, die ehemalige Souverainität und Autonomie Böhmens nach Innen in Zweifel zu ziehen. Alle Welt weiß es, daß die deutschen Kaiser, als solche, mit dem böhmischen Volke von jeher nicht das Mindeste zu thun und zu schaffen gehabt haben; daß ihnen in und über Böhmen weder die gesetzgebende, noch die richterliche oder vollziehende Gewalt zukam; daß sie weder Truppen noch irgend Regalien aus dem Land jemals zu beziehen hatten; daß Böhmen mit seinen Kronländern zu keinem der ehemaligen deutschen Kreise gezählt wurde, die Competenz des Reichskammergerichts sich niemals über dasselbe erstreckte usw.; daß somit die ganze bisherige Verbindung Böhmens mit Deutschland als ein Verhältniß, nicht von Volk zu Volk, sondern nur von Herrscher zu Herrscher aufgefaßt und angesehen werden muß. Fordert man aber, daß über den bisherigen Fürstenbund hinaus nun mehr das V o l k von Böhmen selbst mit dem deutschen Volke sich verbinde, so ist das eine wenigstens neue und jeder historischen Rechts-Praxis ermangelnde Zumuthung, der ich für meine Person mich nicht berechtigt fühle, Folge zu geben, so lange ich dazu kein ausdrückliches und vollgiltiges Mandat erhalte.

Der zweite Grund, der mir verbietet, an Ihren Berathungen Theil zu nehmen, ist der Umstand, daß nach Allem, was über Ihre Zwecke und Ansichten bisher öffentlich verlautet hat, Sie nothwendiger Weise darauf ausgehen wollen und werden, Österreich als selbständigen Kaiserstaat unheilbar zu schwächen, ja ihn unmöglich zu machen, – einen Staat, dessen Erhaltung, Integrität und Kräftigung eine hohe und wichtige Angelegenheit nicht meines Volkes allein, sondern ganz Europa’s, ja der Humanität und Civilisation selbst ist und sein muß. Schenken Sie mir auch darüber ein kurzes und geneigtes Gehör.

Sie wissen, welche Macht den ganzen großen Osten unseres Welttheils inne hat; Sie wissen, daß diese Macht, schon jetzt zu kolossaler Größe herangewachsen, von Innen heraus mit jedem Jahrzehent in größerem Maße sich stärkt und hebt, als solches in den westlichen Ländern der Fall ist und sein kann; daß sie, im Innern fast unangreifbar und unzugänglich, längst eine drohende Stellung nach Außen angenommen hat, und wenn gleich auch im Norden aggressiv, dennoch, vom natürlichen Instinct getrieben, vorzugsweise nach dem Süden zu sich auszubreiten sucht und suchen wird; daß jeder Schritt, den sie auf dieser Bahn noch weiter vorwärts machen könnte, in beschleunigtem Lauf eine neue U n i v e r s a l m o n a r c h i e zu erzeugen und herbeizuführen droht, d.i. ein unabsehbares und unnennbares Übel, eine Calamität ohne Maß und Ende, welche ich, ein Slave an Leib und Seele, im Interesse der Humanität deshalb nicht weniger beklagen würde, wenn sie sich auch als eine vorzugsweise slavische ankündigen wollte. Mit demselben Unrecht, wie in Deutschland als Deutschfeind, werde ich in Rußland von Vielen als Russenfeind bezeichnet und angesehen. Nein, ich sage es laut und offen, ich bin kein Feind der Russen; im Gegentheil, ich verfolge von jeher mit Aufmerksamkeit und freudiger Theilnahme jeden Schritt, den dieses große Volk innerhalb seiner natürlichen Gränzen auf der Bahn der Civilisation vorwärts thut: da ich jedoch, bei aller heißen Liebe zu meinem Volke, die Interessen der Humanität und Wissenschaft von jeher noch über die der Nationalität stelle, so findet schon die bloße Möglichkeit einer russischen Universalmonarchie keinen entschiedeneren Gegner und Bekämpfer, als mich; nicht weil sie russisch, sondern weil sie eine Universalmonarchie wäre.

Sie wissen, daß der Süd-Ost von Europa, die Gränzen des russischen Reiches entlang von mehren in Abstammung, Sprache, Geschichte und Gesittung merklich verschiedenen Völkern bewohnt wird, - Slaven, Walachen, Magyaren und Deutschen, um der Griechen, Türken und Skipetaren nicht zu gedenken, - von welchen keines für sich allein mächtig genug ist, dem übermächtigen Nachbar im Osten in alle Zukunft erfolgreich Widerstand zu leisten; das können sie nur dann, wenn ein einiges und festes Band sie mit einander vereinigt. Die wahre Lebensader dieses nothwendigen Völkervereins ist die Donau; seine Centralgewat darf sich daher von diesem Strome nicht weit entferne, wenn sie überhaupt wirksam sein und bleiben will. Wahrlich, existirte der österreichische Kaiserstat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europa’s, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen. [...S. 83-85]

Um endlich meine lange und doch nur flüchtig hingeworfen Rede zu schließen, muß ich meine Überzeugung in kurzen Worten dahin aussprechen, daß das Verlangen, Österreich (und mit ihm auch Böhmen) solle sich volksthümlich an Deutschland anschließen, d. h. in Deutschland aufgehen, eine Zumuthung des S e l b s t m o r d s ist, daher jedes moralischen und politischen Sinnes ermangelt; daß im Gegentheil die Forderung, Deutschland möge sich an Österreich anschließen, d. h. der österreichischen Monarchie unter den oben angedeuteten Bedingungen beitreten, einen ungleich besser begründeten Sinn hat. Ist aber auch diese Zumuthung dem deutschen Nationalgefühle gegenüber unstatthaft, so erübrigt nichts, als daß beide Mächte, Österreich und Deutschland, neben einander gleichwertig sich constituieren, ihren bisherigen Bund in ein ewiges Schutz- und Trutzbündniß verwandeln, und allenfalls noch, wenn solches ihre beiderseitigen materiellen Interessen zusagt, eine Zolleinigung unter einander abschließen. In allen Maßregeln, welche Österreichs Unabhängigkeit, Integrität und Machtentwicklung, namentlich gegen den Osten hin, nicht gefährden, bin ich mitzuwirken immer freudig bereit.

Genehmigen Sie, meine Herren! den Ausdruck meiner aufrichtige Verehrung und Ergebenheit. Praha, den 11. April 1848.

Franz Palacký