Franz Palacký:
Über Gleichberechtigung von Deutschen und Slawen


zit. aus Franz Palacký: Oesterreichs Staatsidee, Prag 1866, S. 71-78 (nach dem Nachdruck des Verlags des wissenschaftlichen Antiquariats H. Geyer, Wien 1974)

Alle Staatsmänner, welche die österreichische Verfassung auf centralistischen und dualistischen Grundlagen bauen wollen, versuchen ein Werk, das sich selbst und den Grundlagen auf welchen es aufgebaut wird, sowie allem Recht und aller Natur widerspricht; sie bauen daher ein Gebäude, das auf die Dauer physisch und moralisch unhaltbar ist. Nach dem Grundsatze des Constitutionalismus sind überall die Völker berufen, ihren Willen bei der Gesetzgebung zu erkennen zu geben und ihm Geltung zu verschaffen; dies beschränkt aber der Centralismus und Dualismus auf bürgerliche und politische Rechte allein und versagt es willkürlich in Bezug auf nationales Recht. Dies Slaven und Rumänen sollen darin den Deutschen und Magyaren untergeordnet sein; als Bürger haben sie zwar das Recht, ihren Willen in Gesetzen auszusprechen, als Nation jedoch sollen sie diesen freien Willen nicht haben. Verträgt sich dies mit der eigentlichen Grundidee des Constitutionalismus? Ist etwa auch der frei, dem da gesagt wird: Du sollst frei sein, jedoch nicht wie Du willst, sondern wie ich es Dir vorschreibe? Und wer berechtigt die Deutschen und Magyaren zu solchem Vorschreiben? wer soll verpflichtet sein, wenn er frei ist, die Herrschaft einer andern Nationalität anzuerkennen? Wenn Deutsche und Magyaren den Slaven das Maaß ihrer nationalen Berechtigung bestimmen werden, wie wird man dann in Österreich noch von Gleichberechtigung der Nationalitäten und gleichem Rechte für Alle reden können?

Wenn wir bedenken, daß der Grundsatz der sprachlichen und nationalen Gleichberechtigung unlängst vom Siebenbürger Landtage durchgeführt und von der Regierung bestätigt wurde, so müssen wir gestehen, daß die siebenbürger Rumänen keine Ursache mehr zu klagen haben dürften. Warum geschah aber Etwas ähnliches nicht schon auch in anderen Ländern, besonders in den slavischen? oder sollte es wirklich wahr sein, was ich im J. 1861 in Wien aus dem Munde eines hochgestellten Mannes gehört und natürlich nur für einen Scherz gehalten habe, daß in Österreich alle Nationen eher, als die Slaven, und am Ende noch auch alle Slaven eher als die Böhmen zufriedengestellt werden sollen?

Im Schooße der großen und speculativen Nation der Deutschen finden sich immer eigenthümliche Philosophen vor, denen es nicht schwer fällt jeden Sinn und Unsinn in ein methodisches System zu bringen und die daher auch a priori zu beweisen wissen, daß der Grundsatz der nationalen Gleichberechtigung eigentlich ein Unsinn sei. Die gemeinsame Abstammung der gesammten Menschheit sei, wie Adam und Eva selbst, eine Fabel; die Natur, die auch keine zwei Blätter vollständig gleichgeschaffen, habe auch unter die Nationen nicht ihre Gaben gleich vertheilt, und wem sie irgend einen Vorzug verliehen, der Besitzer auch das Recht, denselben zur Geltung zu bringen. Die Deutschen, die also von Natur aus begabter, kräftiger und edeler sind, als die Slaven, dürfen mit ihnen keineswegs auf eine Stufe gestellt werden. Und solche Reden bekommt man nunmehr nicht nur in deutschen Büchern und Zeitschriften, sondern auch in deutschen Wirthshäusern zu hören.

Wenn also die Deutschen von Natur aus begabter, kräftiger und edeler sind als wir Böhmen, so frage ich, wo war diese ihre Natur z. B. in den Hussitenkriegen hingerathen? Bewiesen sie auch damals, daß sie Deutsche waren? Nach jahrelangen, blutigen Kämpfen, in denen stets materielles und numerisches Übergewicht aber auch ungeheuere und fast wunderbare Niederlagen an ihrer Seite waren, folgte die in der ganzen Weltgeschichte unbekannte Erscheinung, das ungeheuere deutsche Armeen, von halb Europa ausgerückt und von den besten Feldherren ihrer Zeit geführt, endlich vor lauter Furcht früher noch die Flucht ergriffen, bevor es zur entscheidenden Schlacht kommen konnte, und daß endlich das große Basler Concilium seine friedlichen Verhandlungen mit den Böhmen dadurch entschuldigte, daß diese, inscrutabili divino judicio, nicht anders als wieder durch Böhmen hätten besiegt werden können (bei Lipan). Ich glaube, daß den heutigen Deutschen solche Erwähnungen keineswegs angenehm sind und daß sie sich dessen ungern erinnern: wir werden uns aber doch erlauben, es für sie und auch für uns in Erinnerung zu bringen, so oft sie sich ungerecht überheben und uns für eine niedrigere Race als sie sind, erklären werden. Auch wir behaupten nicht, daß in den Hussitenkriegen die Böhmen ein von Natur aus begabteres, kräftigeres und edleres Volk gewesen wären; aber nach meiner Überzeugung war damals das gesammte geistige Leben bei den Böhmen viel aufgeweckter, reger und ausgebreiteter, als verhältnißmäßig bei den Deutschen, Dank der bildenden Fürsorge Karl’s IV, des Vaters des Vaterlandes – weswegen sie auch durch ihren Geist hervorragten und obsiegten, so lange sie nicht durch unvorsichtiges und thörichtes Beginnen ihrer Vorzüge verlustig wurden. Auch läugne ich nicht, daß in unseren Tagen die deutsche Nation im Großen und Ganzen eine höhere Stufe der geistigen Bildung und Thätigkeit erreicht habe, als wir Böhmen oder die übrigen Slaven; haben ja seit zwei Jahrhunderten nicht nur die ausländischen Deutschen in ihrer Bildung unbehindert erfreulich fortschreiten können, sondern alles, was auch in unserem Lande von der Regierung für geistigen Fortschritt gethan wurde (freilich war dessen nicht viel), geschah ausschließlich nur zum Vortheile des deutschen Elements, dem auch wir und wider Willen fügen mußten; und es braucht wohl nicht erörtert zu werden, ob wir den relativ nicht unbedeutenden Grad unserer jetzigen nationalen Bildung mit Willen und Hilfe unserer Nachbarn, oder gegen dieselben erreicht haben. Könnte an hier darüber eines längeren verhandeln, so würde ich nicht anstehen zuzugeben, daß auch in den moralischen Charakteren und den Leidenschaften verschiedener Völker gewissen Differenzen und entschiedene Ungleichheiten sich herausstellen, und es wird hoffentlich nichts Unangenehmes oder Beleidigendes darin liegen, wenn ich behaupte, daß die Stunde aller Nationaltugenden oder Untugenden auf mehre[re]n Seiten gleich sein kann, wenn auch die Coefficienten ungleich wären; aber ich läugne und werde es immer unbedingt und entschieden thun, daß irgend eine Nation von Gott oder der Natur und nicht etwa durch langjährige Traditionen und Bildung einen höheren inneren Werth erlangt habe. Die Nationen bestehen ja nicht etwa erst seit zwei oder drei Jahrtausenden, seitdem man ihre Traditionen verfolgen kann; die Deutschen aber, die sich so gern zum Gegensatz der Slaven machen, sollten nicht so bald das Wort des ersten Forschers ihres nationalen Lebens, Jakob Grimm, vergessen, der als Hauptresultat aller seiner Studien das angab, daß der gesammte deutsche Stamm in der ganzen Genealogie der Völker keinen näheren oder wenigstens so nahen verwandten besitze, als die Slaven. Rara concordia frantrum!

Wenn wir jedoch die Sache näher betrachten, so wird man sich des Verdachtes nicht entledigen können, daß die Deutschen mit ihrem Geschrei von natürlichen Vorzügen, die sie vor uns haben, nur ihr Gewissen beschwichtigen wollen, da sie selbst von ihnen nicht überzeugt sind; denn sonst wäre es wirklich unbegreiflich, warum sie zögern sollten mit uns den Wettlauf in gleicher Rüstung anzutreten, wenn sie ihrer Vorzüge und ihres Sieges gewiß wären. Deßwegen aber, daß bei einem solchen Wettkampfe Gerechtigkeit gewahrt werde, verlangen und können wir auch mit Recht verlangen, daß dem jahrhundertelangen Unrecht endlich ein Ende gemacht und die nicht natürliche, sondern nur faktische Ungleichheit nicht immer von Neuem wieder angefacht wäre. Wir können und müssen verlangen, daß der Staat für das Geld, daß wir ebenso wie Deutsche zahlen müssen, in unserem Lande nicht deutsche Ämter und Schule allein unterstütze; wir müssen verlangen, daß so oft sich Gelegenheit zur Errichtung einer böhmischen Lehrkanzel an der Prager Universität, oder ein Docent zu Vorträgen bietet, nicht nur vom altdeutschen sondern auch vom altböhmischen Recht, neben Eike von Repgov auch Andreas von Duba und Cornelius von Wšehrd behandeln zu wollen, man uns von Wien nicht immer kurzweg nur negativ antworte u.s.f.

Zum Beweise, daß mein Theorie von der Gleichberechtigung falsch sei, wurde von deutscher Seite irgendwo auch ein unbeholfenes Beispiel von der Familie eines Industriellen angeführt, der ja seine Hausgenossen, Frauen und Kinder, weder mit den Lasten noch mit den Vortheilen des Geschäftes gleich, sondern nur nach ihren Fähigkeiten und Verdiensten betraue. Ist denn das Leben der Nationen ein Geschäft oder ein Amt, zu dessen ersprieslicher Führung nur persönliche Begabung und Erfahrung nöthig ist? oder ist etwa das Recht der Menschen zur Bildung, zum Genuße der bürgerlichen Rechte u.s.f. erst durch einen willkührlichen Richtspruch irgend eines Menschen bedingt?

Noch thörichter ist die Prätension der Magyaren, in ihren Ländern deswegen herrschen zu wollen, das sie dieselbe vor tausend Jahren erobert haben. Haben sie ihr Recht, wenn sie es durch das Schwert überhaupt erlangen konnten nicht schon längst wieder durch das Schwert verloren, da sie seitdem hundertmals auf’s Haupt geschlagen wurden? haben sie sich selbst vom Joche der Türken befreit? oder schloßen sie ihren letzten nationalen Kampf bei Villagos als Sieger? Ich habe jedoch schon früher gesagt, daß Discussionen über das Recht der Gewalt nicht mit der Feder geführt werden, weswegen ich auf eine weitere Erörterung dieses Gegenstandes verzichte.

Endlich führt man als Gegenbeweis gegen die praktische Durchführung der nationalen Gleichberechtigung noch an, daß es, wie man sagt, unumgänglich nothwendig sei, daß sich Österreich seines Bundes mit dem deutschen Reiche nicht begebe, mit dem es ja stehe, und ohne der es nicht nur als Großmacht, sondern vielleicht überhaupt zu existieren aufhören würde (sie’ „Presse“ vom 20 April 1865). Ein sonderbareres Compliment kann man fürwahr der Großmacht Österreich nicht machen, als wenn man sagt, daß die Bedingungen ihrer Existenz nicht in ihr, sondern außer ihr liegen! Und so spricht eines der ersten Organe der öffentlichen Meinung im Herzen Österreichs in Wien! Ein solches Wort würde ich für eine Beleidigung der Majestät des Reiches halten; und ich kann mir es nicht anders erklären, als daß denjenigen, die also denken und reden, an der Herrschaft der deutschen Nationalität mehr gelegen ist, als an der Dauer Österreich’s als einer Großmacht. Und Slaven ist an der Herrschaft in Deutschland oder Italien nicht das Geringste gelegen und wir glauben, das Österreich, wenn es durch weise und freie Institutionen die Zufriedenheit aller seiner Völker sicher gewonnen haben und sich angelegen sein lassen wird, daß wir alle auf den Namen Österreich mit Recht stolz werden können, nie Ursache haben wird, sich vor irgend einer Macht auf der Welt zu fürchten. Wem aber die Vereinigung der österreichischen Länder und Völker mit dem deutschen Reiche von jeher mehr Nutzen gebracht, ob uns oder dem Reiche selbst, davon gibt die Geschichte hinreichendes und beredtes Zeugnis. Auch in unseren Tagen sieht es ein jedes Kind ein, wie zahlreich die materiellen Opfer sind, die wir der politischen Verbindung mit den deutschen Staaten bringen müssen, wogegen die Vortheile, die sich aus diesem Verhältnisse für uns ergeben sollen, meistentheils diplomatische Geheimnisse bleiben. Soll aber das nationale Gefühl des Pangermanismus so berechtigt und heilig sein, mit welchem Rechte werden wir das panslavistische und panitalische Gefühl verdammen können? wenn die Deutschen über alle staatlichen Verträge zu ihren auswärtigen Stammesgenossen sich hinneigen und ihnen anschmiegen können, wie wird man dasselbe den Slaven und Italiänern zum Verbrechen anrechnen dürfen? Die Magyaren bleiben wohl immer unschuldig, da sie freilich keinen Grund haben, nach ihren uralischen Verwandten sich zu sehnen.

In der letzten Zeit ist es bei Deutschen und Magyaren Sitte geworden, ‚Panslavisten’ oder wie man in Ungarn mit der Eleganz eines Betyars zu sagen vorzieht ‚Panslaven’ – alle selbstbewußten Slaven zu benennen, die ihre Nationalität nicht verläugnen wollen. Und in der That, wird man für Panslavismus jedes nationale Gefühl, jedes natürliche Streben des Slaven ausgeben und Panslavist oder Panslave jeder Slave sein, der sich nicht germanisiren oder magyarisiren lassen will, so werden wir Panslavisten nach Millionen zählen und ganz Österreich wird das gelobte Land des Panslavismus werden – freilich eines Panslavismus, wie auch wir ihn uns nicht wünschen möchten.

Wir bemerken leider, daß der nationale Egoismus der herrschenden Stämme diesseits und jenseits der Leitha in den letzten Tagen immer nackter und rücksichtsloser auftritt, wir lesen von Verhandlungen deutscher und magyarischer Politiker, wie sich dieselben unter die Reichsverwaltung auf eine Art theilen, als ob in Österreich keine Slaven gäbe; von beiden Seiten hören wir freudige Rufe von Schaaren ertönen, die bereit sind in das ersehnte Paradies des Dualismus einzuziehen; und unsere noch so berechtigten Hoffnungen auf einen energischen und dauernden Bilderstand der Regierung gegen solche Tendenzen könnten doch am Ende (was freilich Gott erhüten möge) durch die That nicht gerechtfertigt werden. In diesem Falle bleibt uns nur das eine und letzte Wort: Sollte der gerade Gegensatz der modernen Staatsidee Österreichs durchgeführt werden; sollte dieses aus verschiedenen Völkern zusammengesetzte und in seiner Art einzige Reich nicht allen gleiche Gerechtigkeit, sondern Macht und Herrschaft den Einen über die Übrigen bieten wollen; sollten die Slaven wirklich für eine niedrigere Race und, wie bereits bemerkt wurde, nur das Regierungsmaterial für zwei andere Völker erklärt werden: dann tritt auch die Natur in ihre Rechte ein und ihr unausbleiblicher Widerstand wird den häuslichen Frieden in Unfrieden, Hoffnung in Verzweiflung umwandeln und Kämpfe und Streitigkeiten hervorrufen, deren Richtung, Umfang und Ende Niemand absehen kann. Der Tag, an dem der Dualismus proclamiert wird, wird zugleich durch unwiderstehliche Naturnothwendigkeit der Geburtstage des Panslavismus in seiner am wenigsten erfreulichen Gestalt werden; als Paten werden ihm die Väter des Dualismus stehen. Was dann folgen wird, kann sich der Leser selbst vorstellen. Wir Slaven werden dem zwar mit gerechtem Schmerze aber ohne Furcht entgegensehen. Wir waren vor Österreich da, wir werden es auch nach ihm sein.

Ein Meer von verschiedenen Gedanken wogt noch in meinem Herzen und meinem Kopfe – aber ich fühle, daß ich nach einem solchen Worte nicht weiter reden kann. Zudem habe ich ja genug gesagt, daß ein Jeder, der nur den Willen hat, meine Worte vollständig begreifen kann. Auch habe ich nicht etwa in der Hoffnung das Wort ergriffen, daß meine Rede irgendwie Einfluß auf den faktischen Verlauf der Ereignisse haben könnte. Keineswegs. Ich bin mir der Unzulänglichkeit meiner Kräfte dazu schon längst bewußt, und kenne auch ganz wohl alle die mächtigen Vorurtheile und Leidenschaften, die sich meinen Worten, und wären sie wie immer geartet, immer entgegenstellen werden. Ich habe nur meine Pflicht nach Möglichkeit erfüllen wollen, damit mir einst mein Gewissen keine Vorwürfe mache, daß ich nicht, so lange es noch nicht zu spät war, vor Gefahren gewarnt habe, die vielleicht nicht ein Jeder in dieser Art und mit dieser Gewißheit, wie es mir möglich war, voraussehen kann. Daher hätte ich es auch für unmännlich gehalten, noch ferner zu zögern und nicht auch das letzte Wort auszusprechen.

Um die publicistischen und journalistischen Plänkeleien, die meine Wort bereits erregt haben oder noch erregen werden, kümmere ich mich wenig. Das berüchtigte Wort des Ministerkardinals Richelieu: Donnez moi deux lignes d’un homme et je vous le farai pendre, hat wohl in unseren Tagen keine wörtliche Geltung mehr; wenn es aber immer leicht bleibt, Worte gegen Worte zu stellen, so kann uns wenigsten jenes Wort darüber belehren, daß es für pfiffige Erklärer immer noch nicht unmöglich ist, auch dort schlechte Absichten herauszuwittern und zu verfolgen, wo sie das Auge eines Vernünftigen nimmermehr erblicken kann. In solchen Künsten werde ich Niemanden behindern und auch Niemandem eine Antwort geben, in so lange ich nicht zu der Einsicht komme, daß durch meine Schuld, Unachtsamkeit oder Undeutlichkeit, Grund zu wirklichen und wichtigen Mißverständnissen gegeben wurde. Alles übrige sei nunmehr Gott befohlen!

Prag, den 16. Mai 1865.