Politisch korrekt?
Gedanken zur Berliner Ausstellung „Erzwungene Wege“ des BdV
von Hildegard Murjahn
Als „politisch korrekt“ hat man sie in Presse und Fernsehen charakterisiert, als
„unbedenklich“ und letztlich „harmlos“. Im Umkehrschluss konnten Einwände und
Kritik nur durch Boshaftigkeit gegenüber den Organisatoren oder eine auf die
Spitze getriebene Überempfindlichkeit motiviert sein. Die Rede ist von der im
In- und Ausland kontrovers diskutierten Ausstellung „Erzwungene Wege – Flucht
und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“, die die Stiftung „Zentrum gegen
Vertreibungen“ noch bis zum 29. Oktober 2006 in Berlin zeigt. Bei den
Organisatoren handelt es sich um eine Unterorganisation des Bundes der
Vertriebenen (BdV). Die Ausstellung ist das derzeitige Lieblingsprojekt der
BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Sie sieht es als wichtigen Meilenstein auf dem
Weg zu einer nationalen Gedenkstätte für Flucht und Vertreibung der Deutschen
an. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wird diese geplante Stätte
verharmlosend als „sichtbares Zeichen“ umschrieben, doch ist für jeden
aufmerksamen Beobachter der Innenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland klar,
dass es sich dabei um die Schaffung des von Frau Steinbach initiierten „Zentrums
gegen Vertreibungen“ auf Kosten des deutschen Steuerzahlers handelt. Konzipiert
wurde die Berliner Ausstellung von den Historikern Wilfried Rogasch (* 1962) und
Katharina Klotz (* 1967) sowie der Kunsthistorikerin Doris Müller-Toovey (*
1963). Die Schau füllt die drei oberen Räume des Kronprinzenpalais Unter den
Linden, das trotz der perfekt rekonstruierten Außenfassade im Innern noch immer
den „Charme“ des ehemaligen DDR-Gästehauses atmet. Auch auf das
Aufsichtspersonal und die Betreuung des Bücherstandes im Erdgeschoß scheint
diese Atmosphäre unweigerlich abgefärbt zu haben.
Wer den stolzen Eintrittspreis von immerhin 5 Euro bezahlt hat, begibt sich ins
Obergeschoß Die Einleitungstafel nennt „die Umsetzung der Idee des ethnisch
homogenen Nationalstaates“ als „eine der Hauptursachen“ für Flucht und
Vertreibung, in einer gesteigerten Variante werden auch „Rassismus und
Antisemitismus“ dafür verantwortlich gemacht. Während die Ausstellungsmacher
zwar zu Recht betonen, dass die Gründe für Zwangsmigrationen von Fall zu Fall
unterschiedlich sein können, verschweigen sie den einzigen gemeinsamen Nenner
aller in der Ausstellung gezeigten historischen Exempel: den Krieg.
Der größte Schauraum empfängt den Besucher mit einem quasi an die Wand gehängten
Buch, mit schier endlosen Texten, deren Lektüre ermüdet, mit reproduzierten
Fotos und Dokumenten sowie kleinen, integrierten Vitrinen für die wenigen
Originalexponate. Auf dem Boden und an den Wänden ist, was sich erst beim
genauen Hinsehen erschließt, eine schematische Landkarte Europas wiedergegeben,
die wohl den vorgeblich europäischen Charakter der Ausstellung unterstreichen
soll. Lautet nicht gerade einer der PR-Coups von Erika Steinbach, dass diese
Ausstellung die komplementäre europäische Perspektive zu der auf das deutsche
Schicksal konzentrierten Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ des
Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland liefere? Dabei ist
allerdings zu fragen, ob die willkürliche Auswahl und Aneinanderreihung von
unterschiedlich motivierten und in jeweils singulären geschichtlichen
Zusammenhängen durchgeführten Zwangsmigrationen schon eine „europäische
Perspektive“ beinhaltet. Gezeigt werden die Schicksale der Armenier (1915/16),
der Griechen und Türken (1922/23), der deutschen Juden (ab 1933), der
Westkarelier (1939-1947), der Polen, Balten, Ukrainer und Rußlanddeutschen
(1939-1949), der Deutschen aus dem östlichen Europa (ab 1944), der Italiener aus
Jugoslawien (ab 1944), der Zyprioten (1963-1974) sowie in Bosnien und
Herzegowina (1990er Jahre). Vielmehr soll hier ein fragwürdiges Paradigma
festgeklopft werden, das den Nationalstaat – und eben auch seine demokratische
Variante, wie sie infolge der Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg
in vielen Ländern geschaffen wurde – diskreditiert und an den Anfang allen Übels
stellt. In logischer Konsequenz wäre bereits in der Gründung der Polnischen
Republik und der Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg das
Übel von Flucht und Vertreibung angelegt gewesen.
Hätten aber diejenigen deutschen Vertriebenen, die Mitglieder des Bundes der
Vertriebenen (BdV) sind, nicht einen Anspruch darauf, einmal von ihrem Verband
gründlich und solide über die Hintergründe, Umstände und Folgen der Vertreibung
der Deutschen informiert zu werden? Seit Jahrzehnten kolportierte Legenden,
Vorurteile und Fehlinformationen könnten so endlich aus dem Weg geräumt werden.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auch auf diejenigen der in der
Berliner Ausstellung gezeigten Vertreibungsvorgänge, bei denen Deutsche die
Betroffenen waren. Diese Reihe beginnt in der Ausstellung mit der „Vertreibung
der Juden in Deutschland ab 1933“, die als „Beginn des Holocaust“ bezeichnet
wird. Mir wurde zunächst nicht klar, weshalb es nicht „Vertreibung der Juden aus
Deutschland“ sondern „in Deutschland“ heißt. Beim weiteren Lesen der Texte
offenbarte sich mir jedoch das dahinter stehende Weltbild, wenn die Autoren etwa
schreiben: „Die Weimarer Verfassung garantierte Juden und Nichtjuden gleiche
Rechte.“ Eine solche Bestimmung war in der Weimarer Verfassung von 1919 nicht zu
finden. Art. 113 WRV garantierte den „fremdsprachigen Volksteile[n] des Reiches“
gewisse Freiheitsrechte. An anderer Stelle wurden diese vier anerkannten
Sprachminderheiten explizit gesetzlich definiert: Dänen, Polen, Sorben und
Friesen. Zwar wurde von der Weimarer Verfassung den Reichsbürgern die freie
Religionsausübung als Grundrecht gewährt; die Heraushebung einer besonderen
religiösen Gruppe als Minderheit hätte aber in den Augen der Verfassungsväter
dem demokratischen Gleichheitsgrundsatz der deutschen Republik widersprochen.
Deutsche jüdischer Religionszugehörigkeit waren demnach Reichsbürger vollen
Rechts, ebenso wie etwa Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Buddhisten oder
Atheisten auch. Die Berliner Ausstellung geht aber von einem ethnischen
Verständnis der Juden aus. So wird etwa wörtlich von einer
„Germanisierungspolitik der Nationalsozialisten“ gegenüber der „jüdischen
Bevölkerung“ gesprochen. Wird damit nicht letztlich einem völkischen Konstrukt
das Wort geredet, das die Juden (wieder einmal) den Stempel des Fremden
aufdrücken will? Auf einer weiteren Tafel zum Thema wird der Reisepass des
Schriftstellers Franz Werfel aus dessen Nachlass in den USA reproduziert. Die
dazu gehörige Bildlegende beginnt mit den Worten „Der tschechische Reisepass des
jüdischen Schriftstellers Franz Werfel…“. Wenn auch Werfel die letzte Zeit vor
seiner Emigration überwiegend in Wien verlebt hatte, so war er doch aufgrund
seiner Geburt in Prag tschechoslowakischer Staatsbürger geblieben. Daher war es
selbstverständlich, dass ihm dieser Pass – wie man dem Siegelstempel entnehmen
kann – durch das Generalkonsulat der Tschechoslowakischen Republik zu Wien
(Generální konsulát Československé republiky, Videň) ausgestellt wurde. Wie man
aus Werfels publizistischen Werken herauslesen kann, blieb der Autor der
Tschechoslowakischen Republik stets ideell treu. Was würde der überzeugte
Humanist Werfel wohl dazu gesagt haben, hätte er gewusst, dass der BdV heute
einen Preis nach ihm benennt?
Beim Abschnitt zur Ansiedlung der „volksdeutschen“ Umsiedler aus dem östlichen
Europa im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs gibt die verharmlosend
klingende Aussage zu denken, das Deutsche Reich sei bestrebt gewesen, „den
Umsiedlern vergleichbare Existenzbedingungen wie in der alten Heimat zu bieten“.
Waren jahrelanges Lagerdasein, die Inbesitznahme geraubten und beschlagnahmten
polnischen Wohnraums und Hausrats, die ständige Angst vor Angriffen wirklich
eine erstrebenswerte und vergleichbare Existenzbedingung für die Umsiedler, die
zuvor je nach Herkunftsregion mit Vertretern anderer Nationen in einem normalen
Nachbarschaftsverhältnis gelebt hatten?
Das Kapitel zur „Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieg“
beginnt, auch das kein Zufall, mit einem Rückblick auf die Zeit nach 1918. In
der für die Vertriebenenverbände typischen Verachtung für das „Versailler
System“ werden die „Repressionen“ gegen die „deutschen Minderheiten in den
Territorien, die das Deutsche Reich nach dem Versailler Vertrag abtreten musste“
hervorgehoben. Die anschließende „kalte Vertreibung“ habe bis 1939 ca. 1,5
Millionen Deutsche betroffen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass davon nur in
geringem Umfang die autochthonen deutschen Gruppen betroffen waren, sondern vor
allem Neusiedler der preußischen Ansiedlungspolitik zwischen 1871 und 1914. Die
1943 im kaschubischen Rumia als Tochter eines deutschen Feldwebels geborene
Erika Steinbach hatte dabei wohl das Schicksal ihrer eigenen Familie vor Augen.
Floh doch auch ihre Mutter im Januar 1945 mit ihr aus dem Reichsgau
Danzig-Westpreußen nach Westen, als die Situation im besetzten Polen für die
Frau eines deutschen Besatzungssoldaten brenzlig zu werden drohte.
Für die „Flucht und Vertreibung“ der Deutschen nach 1945 gibt der BdV mit „12
bis 14 Millionen“ Betroffenen eine vergleichsweise niedrige Zahl unter den in
der deutschen Literatur und Publizistik zu findenden verwirrenden Angaben an,
die zwischen fünf und 25 Millionen schwanken. Doch schon der nächste Satz muss
jeden kritischen Leser stutzig machen. Auslöser von Flucht und Vertreibung sei
der „Vormarsch der Roten Armee“ gewesen. Auch hier kein Wort dazu, weshalb die
Rote Armee nach Westen zog, dass es sich dabei um einen Vormarsch im Rahmen der
Anti-Hitler-Koalition handelte, deren Ziel die Niederwerfung der NS-Diktatur in
Deutschland und den von ihm besetzten Ländern war. Die „Hauptursache“ der
Vertreibung aus den ehemaligen östlichen Reichsgebieten aber, so die
Ausstellungsautoren weiter, sei „die durch Stalin betriebene und von den
Westalliierten und der polnischen Regierung akzeptierte Westverschiebung Polens
bis an die Oder-Neiße-Grenze“ gewesen. Den Regierungen der Tschechoslowakei und
Polens wird gar vorgehalten, bereits „mit Kriegsbeginn“ an der Vertreibung der
Deutschen gearbeitet zu haben. Die Londoner Exilregierungen Polens und der ČSR?
Einzelne Splittergruppen? Wer einen solchen pauschalen Intentionalismus
unterstellt, verdreht Ursache und Wirkung – mit dem eindeutigen Ziel, den
deutschen Nationalsozialismus zu entlasten. In der Zwischenzeit hat Erika
Steinbach in Ihrem Interview für den Deutschlandfunk am 5. September 2006 auch
in dieser Hinsicht die Katze aus dem Sack gelassen, als sie sagte: „Ohne Hitler,
ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die
es in der Tschechoslowakei schon davor gegeben hat, die es in Polen schon davor
gegeben hat, niemals umgesetzt werden können. Hitler hat die Tore aufgestoßen,
durch andere dann gegangen sind, um zu sagen, jetzt ist die Gelegenheit, die
packen wir beim Schopfe.“
In die BdV-Ideologie passt auch die in der Ausstellung reproduzierte Karte
„Siedlungsgebiete von Deutschen außerhalb der Reichsgrenzen von 1937“, die
lediglich eine graphisch modernisierte Variante einer aus den 1920er Jahren im
Rahmen der deutschen „Volks- und Kulturbodenforschung“ entwickelten Darstellung
des völkischen Kartographen A. Hillen Ziegfeld darstellt.
Doch nicht nur in der Kartographie, auch im Wort knüpft die
Vertreibungsausstellung an völkisches Gedankengut an. Dass es, wie im Kapitel
„Flucht der deutschen Zivilbevölkerung vor der Roten Armee“ ausgeführt wird, zu
Gewalttaten gegenüber den Deutschen in den von der sowjetischen Armee erreichten
Gebieten kam, ist heute unbestritten. Allerdings waren die „Massaker“ – so der
Originalton des Ausstellungstextes – eine der letzten Propagandakampagnen von
Joseph Goebbels, um die Kampfbereitschaft der Deutschen gegenüber den „Russen“
zu erhöhen. Gerade die jüngere Forschung zu dem ostpreußischen Nemmersdorf hat
dies – übrigens seitens von Betroffenen – klar erwiesen, auch wenn sich der BdV
bis heute weigert, diese Tatsachen anzuerkennen.
Der letzte Teil der Ausstellung greift in einem verwirrenden Potpourri Begriffe
und Konzepte auf. Dabei wird, etwa bei dem komplizierten Phänomen „Heimat“,
nicht etwa die Vieldeutigkeit der möglichen Perspektiven angedeutet, sondern
eine konkrete Definition versucht: „Wenn man den Ort, die Erinnerung oder die
Sehnsucht verliert, fehlt ein wesentlicher Bezugspunkt im Lebensentwurf.
Positive Gefühlswerte definieren den Heimatbegriff.“ Wirklich? Bietet nicht
gerade die deutsche Kulturgeschichte vielfältige Beispiele kritischen
Heimatbezugs? Außerdem fehlt – und das wäre spätestens an dieser Stelle
erforderlich gewesen – eine kritische Auseinandersetzung mit der Heimatideologie
der Vertriebenenverbände, die auf romantischen Heimatvorstellungen und
völkischen Heimatverklärungen beruht. Gerade die Beispiele, die im Kapitel
„Verlorene Natur“ angeführt werden, – die ostpreußischen Elche und die
Trakehner-Pferde – sind vor allem politisch aufgeladene Symbole, keine
objektiven Naturwerte. Besonders prekär wird es bei der „Erinnerungskultur“,
wenn etwa die NS-Lyrikerin Agnes Miegel mit dem Schriftsteller Siegfried Lenz
parallelisiert werden. Im Übrigen sind es nicht – wie die BdV-Ausstellung angibt
– die „masurische Kindheit“ und die „Erlebnisse bei Flucht und Vertreibung“, die
den Teppichmeister Zygmunt Rogalla in Lenz’ Roman „Heimatmuseum“ zum Verbrennen
der von ihm selbst aufgebauten Sammlung veranlassen, sondern die Angst, von ihm
unliebsamen politischen Kräften (wie eben den Vertriebenenverbänden!)
missbraucht zu werden.
Über zwei Stellen bin ich im Schlussbereich der Ausstellung noch gestolpert. Das
erfolgreich verwirklichte „Recht auf die Heimat“, eines der Lieblingskonzepte
der deutschen Vertriebenenorganisationen seit 1945, wird am Beispiel einer
Zypriotin und der Krim-Tataren vorgeführt. Sie stehen eigentlich in der
Ausstellung stellvertretend für die vertriebenen Deutschen, deren „Recht auf die
Heimat“ in den „Vertreibungsgebieten“ der BdV seit Jahrzehnten einfordert.
Etwas prekär wird es jedoch, wenn zum Stichwort „Konzentrationslager“ nicht nur
ein historisch höchst fragwürdiger Abriss der KZ-Geschichte geliefert wird,
sondern – ohne jeglichen weiteren Kommentar – das inzwischen als eine Art
„Ikone“ fungierende Bild der Selektion von neu angekommenen Häftlingen an der
Rampe des KZ Auschwitz-Birkenau gezeigt wird, auf dem eine Frau in langem Mantel
auf den Fotographen blickte, als dieser auf den Auslöser drückte. Diese Art der
visuellen Emotionalisierung im Kontext einer Ausstellung zum Thema „Vertreibung“
nimmt Bezug auf ein beliebtes Argument von Erika Steinbach – die Opfer der
Vertreibung und die Opfer des Holocaust zu parallelisieren. Nicht zuletzt
deshalb ist in manchen einschlägigen Organen des BdV und seiner
Unterorganisationen vom „Vertreibungsholocaust“ die Rede. Im Interesse aller
aufrechten Demokraten in Deutschland bleibt nur zu hoffen, dass die
Weltöffentlichkeit entsprechend reagieren wird, falls die Bundesregierung diesen
Dammbruch an politischer Kultur in ihr geplantes „Sichtbares Zeichen“ übernimmt.
In weiten Teilen mag die Ausstellung tatsächlich „politisch korrekt“ verpackt
sein. Sie wirkt modern, wenngleich kalt und und wenig ansprechend gestaltet.
Doch darf das kühle Design nicht über die harten Inhalte hinwegtäuschen, die da
an mancher Stelle zu sehen sind. Ausgelöst durch ein Interview mit dem „Spiegel“
hat Erika Steinbach auf dem „Tag der Heimat“ in Berlin am 2. September
angekündigt, die umstrittene Vergangenheit des BdV aufarbeiten zu lassen.
Ähnlich wie in der Ausstellung wird es bei dieser Kampagne wohl weitgehend um
Fassaden gehen: Man wird in den Karteikarten des Berlin Document Center nach
NSDAP-Mitgliedschaften früherer BdV-Funktionäre suchen und diese fein säuberlich
auflisten. Viel wichtiger wäre aber die Frage nach den dem BdV innewohnenden
ideologischen Konstrukten, ihren politischen Wurzeln und Auswirkungen, die Frage
nach den politischen Einflussnahmen eines Interessensverbandes auf die
gesamtdeutsche Geschichtspolitik seit den späten 1950er Jahren. Dabei würde sich
zeigen, dass manch einer der von Erika Steinbach beschworenen „Antifaschisten“
wie der Sudetendeutsche Wenzel Jaksch nicht weniger in
völkisch-nationalistischen Kategorien dachte als mancher der frühen Alt-Nazis in
der BdV-Spitze. An eine solche diskursanalytische Geschichtsaufarbeitung hat
Erika Steinbach sicherlich nicht gedacht – sie kann nur von außerhalb des
betroffenen Verbandes geleistet werden. Dazu aber müssen die Archivbestände des
BdV, die als Deposit im Bundesarchiv in Koblenz lagern und bislang nur mit
Genehmigung des BdV-Vorstands von einem handverlesenen Forscherkreis benutzt
werden dürfen, für internationale Historiker uneingeschränkt freigegeben werden.
Dies wäre die Voraussetzung dafür, dass sich die deutsche Erinnerungskultur auch
jenseits verbandspolitischer Bestrebungen und persönlicher Ambitionen der
BdV-Präsidentin frei entfalten kann. Dies läge im europäischen, vor allem aber
auch im deutschen Interesse. Die Einrichtung eines staatlich geförderten
„Zentrums gegen Vertreibungen“ unter Einschluss der Berliner BdV-Ausstellung
aber nicht.
© Hildegard Murjahn