Rezensionen und Annotationen

 

Eine bemerkenswerte Kleine Geschichte Prags

Tobias Weger: „Volkstumskampf“ ohne Ende? Sudetendeutsche Organisationen, 1945-1965, Frankfurt am Main 2008, 635 S.
In Deutschland sind die Kontinuitäten zwischen dem nationalsozialistischen Regime und den Vertriebenenorganisationen der Nachkriegszeit kaum bekannt. Aus diesem Grunde stößt Kritik an den Vertriebe-nenverbänden und ihrer Geschichtspolitik selten auf Verständnis. Die erste Studie, die diesen weißen Fleck füllt, legte im Jahre 2008 Tobias Weger vor. Sie deckt ein beträchtliches Spektrum der Vertriebenenverbände ab, da die sudetendeutschen Organisationen an der gesamten Vertriebenenpolitik maßgeblichen Anteil hatten.
Für mehr hier und hier

Martin D. Brown: Dealing with Democrats

 

Bibliographische Nachschlagewerke zur tschechischen Geschichte

 

Zur Entwicklung der tschechisch-deutschen Beziehungen -
Hans Lindemann über Jan Minář

 

Karel Hruza über sudetendeutsche Geschichtsschreibung

Hans Henning Hahn über Václav Houžvičkas neues Buch

Samuel Salzborn über die „Ethnisierung der Politik“

 

Erich Später: Kein Frieden mit Tschechien. Die Sudetendeutschen und ihre Landsmannschaft, Hamburg 2005, 168 Seiten. 
In der politischen Auseinandersetzung mit den Vertriebenenverbänden werden deren Kritiker/innen oft mit der Behauptung konfrontiert, die Verstrickung von späteren Vertriebenenfunktionär(inn)en in Verbrechen des Nationalsozialismus zu stark zu betonen und der Beteiligung der deutschen Minderheiten in Osteuropa bei der Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden eine zu grosse Bedeutung beizumessen. Da – trotz aller wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten – eine systematische und alle Landsmannschaften umfassende Analyse der tatsächlichen Beteiligung von Angehörigen dieser Verbände an NS-Verbrechen noch immer aussteht (und einige jüngere Forschungsarbeiten hingegen sogar absurderweise um eine Bagatellisierung des völkischen Denkens der Vertriebenenverbände bemüht sind), lesen sich die politischen Essays von Erich Später in dem Band „Kein Frieden mit Tschechien. Die Sudetendeutschen und ihre Landsmannschaft“ in vielerlei Hinsicht erhellend – und zugleich erschreckend, denn das Ausmass der aktiven Beteiligung von späteren Vertriebenenaktivist(inn)en an der NS-Politik im Reichsgau Sudetenland dürfte auch Kenner(inne)n der Materie nicht in der von Später eindrucksvoll herausgearbeiteten Drastik bewusst gewesen sein.

Später kann mit Fug und Recht feststellen, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) die „einflussreichste Sammlungsbewegung der überlebenden Nazi-, Funktions- und Vernichtungselite des Reichsgaus Sudetenland“ war, weil er zahlreiche Biografien akribisch bis ins Detail verfolgt hat, wobei im Mittelpunkt die NS-Tätigkeiten der Angehörigen der Ersten SL-Bundesversammlung stehen. Erfreulicherweise bettet Später diese – absolut überfällige – Analyse in eine Darstellung der Geschichte der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei, ihrer Aktivitäten gegen die tschechoslowakische Demokratie, ihrer Rolle während des Nationalsozialismus und eine Organisationsgeschichte der SL ein, so dass auch der gesellschaftliche und historische Kontext der individuell attestier- und belegbaren, allerdings weitgehend kollektiv vollzogenen Barbarei deutlich wird. Dabei zeigt sich auch, dass der Nationalsozialismus nicht lediglich die Vorgeschichte von Flucht und Vertreibung war, sondern dass es sich bei der Aussiedlung von Angehörigen der deutschen Minderheiten aus Osteuropa wie auch bei der Entstehung der Vertriebenenverbände umgekehrt vielmehr um die Nachgeschichte der völkischen und antisemitischen NS-Volkstums- und Vernichtungspolitik handelte.

Zu bedauern an der Veröffentlichung ist lediglich, dass aufgrund der essayistischen Form der Darstellung weitgehend auf eine detaillierte Belegführung verzichtet und stattdessen mit allgemeinen Quellenhinweisen operiert wird. 

Samuel Salzborn

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Dorota Leśniewska: Kolonizacja niemiecka i na prawie niemieckim w średniowiecznych Czechach i na Morawach w świetle historiografii [Die deutsche und deutschrechtliche Kolonisation im mittelalterlichen Böhmen und Mähren im Lichte der Geschichtsforschung], Poznań-Marburg 2004, 231 S.

Thema dieses vom Posener Verlag "Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk" in Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut in Marburg herausgegebenen Buches ist die Darstellung der deutschen und deutschrechtlichen Kolonisation im mittelalterlichen böhmischen Staat aus der Sicht tschechischer und deutschsprachiger Historiker aus den böhmischen Ländern. Die Autorin interessiert der Zeitraum von Ende des 18. Jahrhunderts bis 1989. Sie stellt vor, wie auf Grund der wandelbaren politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Situation in Ostmitteleuropa die Bedeutung der deutschen und deutschrechtlichen Kolonisation in der Geschichte Böhmens und Mährens unterschiedlich bewertet wurde, wie weit die Nationalität der einzelnen Wissenschaftler auf ihre Interpretation der Vergangenheit Einfluss hatte und inwieweit sich ihre Urteile in streng wissenschaftlichen Beiträgen von Äußerungen in der Publizistik und in Synthesen für ein breiteres Publikum unterschieden.

 

Die Form, in der die Mediävistik der böhmischen Länder die mittelalterliche Kolonisation darstellte, bildete ein Modell, mit dem die Wissenschaftler ihre Ansichten über das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen zum Ausdruck brachten. Der Frage nachgehend, inwieweit die deutsche und deutschrechtliche Kolonisation einen Wendepunkt in der Geschichte Böhmens und Mährens bildete, sahen die meisten Wissenschafter darin die Quelle für die Blütezeit des böhmischen Staates im 13. und 14. Jahrhundert, während andere hier die Ursachen für den späteren Zerfall Böhmens suchten. Für einige Historiker war der kulturelle Beitrag am wichtigsten, den diese Kolonisation mit sich brachte und der sich in der Übernahme fremder Kulturmodelle durch die Tschechen zeigte. Andere betonten dagegen häufig, dass sie die dauerhaften Nationalitätenkonflikte in den böhmischen Ländern einleitete.

Inhaltsverzeichnis

 

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Deutsch-Tschechische Nachrichten – DTN

DTN ist die wichtigste Plattform für aktuelle Informationen zu den deutsch-tschechischen Beziehungen. Sie unterscheidet sich vom Mainstream-Diskurs der deutschen Medienlandschaft erheblich und macht anderswo verdrängte, vernebelte und vernachläßigte Informationen zu den deutsch-tschechischen Beziehungen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Zeitschrift erscheint in München, wird von der Organisation „Setkání – Treffen Deutscher und Tschechischer Linker“ monatlich herausgegeben und von Renate Hennecke, Martin Fochler und Emil Hruška redigiert. Ältere Ausgaben der DTN sind im *.pdf Format dokumentiert unter http://www.gnn-archiv.staticip.de/archiv/DTN/

 

Die Redaktion der DTN arbeitet eng mit deutschen Organisationen der NS-Verfolgten und NS-Gegnern (v. a. mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten) zusammen. Ebenso wie mit einzelnen Gruppen unter den NS-Opfern sowie mit im linken Teil des politischen Spektrums in Tschechien beheimateten Gruppen und wendet sich gegen alle Bestrebungen in der Bundesrepublik, auf das benachbarte Tschechien Druck auszuüben (z. B. im Zusammenhang mit der Kampagne zur Aufhebung der sog. Beneš-Dekrete oder mit den Bestrebungen, „die tschechische Gesellschaft in ‚Versöhnungsbereite’ und ‚Unversöhnliche’ zu spalten und die Regierung in Prag auch von innen unter Druck zu setzen“, Renate Hennecke in DTN-Sonderdruck, Dezember 2002, S. 6).

 

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Conrad Taler: Holubs Welt. Über „Böhmacken“, Sozis und den bösen Herrn Masaryk, in: Blätter für internationale Politik 6, 2004, S. 752-758

Eines der heute bekanntesten Kinderbücher über die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei, „Der rote Nepomuk“ von Josef Holub, wurde hier zum erstenmal einer kritischen Analyse unterzogen. Es handelt sich um eines von drei Büchern einer autobiographisch geprägten Romantrilogie, die den deutschen Kindern und Jugendlichen das Leben in der Tschechoslowakei vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg vorstellen soll. Josef Holub ist im Jahre 2003 mit dem Sudetendeutschen Kulturpreis für Literatur ausgezeichnet worden; seinem Buch „Der rote Nepomuk“ wurde der Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur und der Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg zuerkannt, obwohl es von der Ideologie sudetendeutscher Volkstumskämpfer geprägte Geschichtsbilder propagiert. Conrad Taler weist dies an zahlreichen Beispielen munitiös nach, indem er Beispiele der Arroganz gegenüber der tschechischen Nation, der Verharmlosung der NS-Verfolgungen oder verzerrte Bilder der Nachkriegszeit analysiert; darüber hinaus enthüllt er aber auch Beispiele von offener Relativierung des NS-Regimes und dessen Verbrechen: „Das Elend der Deutschen lässt Holub keineswegs links liegen, Gott bewahre! Um deren Lage zu verdeutlichen stellt er das Verhalten der Tschechen gegenüber den Deutschen auf eine Stufe mit den Untaten der Nazis.“ (S. 758) Conrad Taler sieht in Josef Holub einen jener „moralisch Anspruchslosen“, vor denen schon Theodor Heuss gewarnt hat, als er „den unbelehrbaren Aufrechnern“ klar zu machen versuchte, dass Gewalttätigkeit und Unrecht sich nicht für eine wechselseitige Kompensation eignen.

 

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Kurt Nelhiebel: Erst kam der Krieg, dann die Vertreibung: Den Vergesslichen ins Stammbuch, in: Blätter für internationale Politik, 12, 2004, S. 1504-1512

In diesem autobiographischen Essay des aus der Tschechoslowakei stammenden Autors werden die Gründe dafür erläutert, warum er auf Distanz zum „organisierten Flüchtlingsbetrieb“ blieb: „Ich sah die Wortführer der Vertriebenenverbände auf einem Weg, dem ich nicht folgen wollte. Für mich waren nicht in erster Linie die Tschechen schuld an der Vertreibung, sondern die Urheber des Zweiten Weltkriegs.“ Weiter hier.

 

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Geschichte verstehen. Die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen in den böhmischen Ländern 1848-1948, hg. v. Zdeněk Beneš und Václav Kural, Praha 2002, 343 S.

Dieses Buch, von zwölf namhaften tschechischen Historikern geschrieben, entstand im Auftrag des Kultusministeriums der Tschechischen Republik und wurde in tschechischer und deutscher Sprache veröffentlicht. Es stellt den bisher umfassendsten Versuch dar, die Einstellung der gegenwärtigen tschechischen Gesellschaft zu all jenen historischen Fragen zu erläutern, die seit dem Sturz der kommunistischen Diktatur im Mittelpunkt der deutsch-tschechischen Diskussionen stehen. Analysiert werden hier ausführlich vor allem all jene Problemfelder (wie die der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung), in denen die tschechische Erinnerungslandschaft in den deutschen Medien immer wieder nach wie vor als unverständlich dargestellt bzw. verurteil wird.

 

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Samuel Salzborn: Heimatrecht und Volkstumskampf. Außenpolitische Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische Umsetzung, Hannover 2001, 304 S.

Samuel Salzborn befaßt sich mit dem nachhaltigen Einfluß volkstumspolitischer Konzepte seitens der Vertriebenenverbände. Er analysiert deren ‚theoretische Überlegungen’, liefert fundierte Erkenntnisse über die tatsächliche Wirkungsmöglichkeit dieser Entwürfe und zeigt, welche Konsequenz die Umsetzung der Forderungen der Vertriebenenverbände nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten und noch haben könnten. Neben den historischen Ausführungen stellt der Verfasser in den Mittelpunkt seiner Studie den politischen Kontext, dem die Vertriebenenverbände wirken: die bundesdeutschen Rahmenbedingungen einerseits und die international-völkerrechtlichen Rahmenbedingungen andererseits. Am Beispiel Polen wird dann die konkrete Anwendung der außenpolitischen Bestrebungen der Vertriebenenverbände untersucht: „Die politische und soziokulturelle Entwicklung der deutschen Minderheit in der Republik Polen seit der osteuropäischen Transformation 1989/90 weist deutliche Merkmale einer völkischen Identitätskonstruktion auf.“ (S. 263) Die Rekonstruktion einer deutschen Minderheit in Polen, so Salzborn, habe neue Möglichkeiten zur politischen Realisierung der außenpolitischen Zielsetzungen der Vertriebenenverbände geschaffen und neue Wege zur Realisierung eines ‚Rechtes auf die Heimat’ vermittels eines europäisch garantierten Minderheiten- und Volksgruppenrechtes eröffnet.

Für weitere Texte von Samuel Salzborn siehe hier.

 

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Ulrich Grochtmann: München 1938/ März 1939. Hintergründe, Ereignisse, Folgen: Ereignisse und Entwicklungen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Beitrag zum Thema „Deutsche und Tschechen im 20. Jahrhundert“, hg. v. AstA der Geschwister-Scholl-Universität München, München 2004, 311 S.
Diese einzigartige Dokumentation kann als umfassender Beweis dafür gelten, wie historisch unhaltbar heute gängige Interpretationen der deutsch-tschechischen Konflikte sind, die sich völkischen ethnozentrischen Perspektiven verschrieben haben. Die Kritik an den sudetendeutschen antidemokratischen und antihumanistischen Traditionen, die die Sudetendeutsche Partei zur „Fünften Kolonne“ Hitlers machten, war keineswegs Ausdruck eines sog. tschechischen Nationalismus oder gar tschechischer antideutscher Ressentiments. Die Auseinandersetzung mit der Ideologie des sog. Sudetendeutschtum war primär eine innerdeutsche Angelegenheit. Weiter
hier.

 

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Tobias Weger: „Tracht“ und „Uniform“, Fahne und Wappen. Konstruktion und Tradition sudetendeutscher Symbolik nach 1945, in: Zur Ikonographie des Heimwehs. Erinnerungskultur von Heimatvertriebenen, hg. v. Elisabeth Fendl, Freiburg 2002, S. 101-125

Die Tatsache, daß viele Deutsche den Begriff „Sudetendeutsche“ heute mit Trachten assoziieren, geht auf die herausragende identitätsstiftende Bedeutung von Trachten im Leben sudetendeutscher Vertriebenenorganisationen zurück. „Ein wichtiges Terrain für die Stiftung und Förderung kollektiver Identität bei den Sudetendeutschen nach 1945“, schreibt Tobias Weger, „war die Trachten- und Traditionspflege sowie die Uniformierung innerhalb der Jugendarbeit“ (S. 102); in diesem Aufsatz weist Weger auf die bemerkenswerten historischen Bezüge in unterschiedlichen Bereichen der sudetendeutschen Symbolik hin.

 

Weger rekonstruiert mit minutiöser Sorgfalt die Kontinuitäten vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur im sudetendeutschen Trachtenwesen, sondern im gesamten Bereich der sudetendeutschen Symbolik. So zeigt er u. a., daß die Schlüsselfigur für die sudetendeutsche Trachtenpflege nach dem Zweiten Weltkrieg der Professor für Volkskunde an der Münchner Universität, Josef Hanika, geworden ist – der schon 1938 als Mitglied der Sudetendeutschen Partei von Konrad Henlein mit der „Erneuerung der deutschen Trachten in Böhmen beauftragt wurde“ (S. 103). Weger zeigt zahlreiche heute weitgehend vergessene historische Zusammenhänge, sogar in der Entstehungsgeschichte der sudetendeutschen Farben im Kontext der völkischen Jugendbewegung der 1920er Jahre: „Schwarz und rot, die alten Farben des heiligen deutschen Reiches, sind auch die Farben Sudetendeutschlands. Die sudetendeutsche Sturmfahne ist das schwarze Banner mit dem roten Kreuz“ (S. 111); als Schwarz-Rot-Schwarz dominierten diese Farben ab 1933 auch die Insignien und Publikationen der Sudetendeutschen Heimatfront und wurden 1950 zu den Farben der Sudetendeutschen Landsmannschaft erklärt (S. 116). Auch das gegenwärtige Wappen dieser Organisation geht auf ähnliche ältere Vorbilder zurück.

 

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Tobias Weger: Das „Deutsche Prag“ – von der Beständigkeit dieses Mythos, in: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 44, 2001, S. 135-156

Daß am Vorabend des Zweiten Weltkriegs nur rund 23 330 Deutsche in Prag gelebt haben (Dějiny Prahy, Bd. II, Praha-Litomyšl 1998, S. 384) ist für viele Deutsche überraschend – gilt doch Prag als eine alte deutsche Stadt: Der Topos „Prag als ‚deutsche Stadt‘“ wird in dem vorliegenden Essay zum erstenmal dargestellt und dessen Geschichte skizziert. Es sei „ein verbreiteter Topos – nicht nur in der Wahrnehmung von Touristen, sondern auch bei Autoren von Reisenführern, Landeskunden der böhmischen Länder, historischen Abhandlungen und Essays“ (S. 135), stellt Tobias Weger fest und geht den Spuren dieses Topos nach. Dabei zeigt er, wie zwischen 1866 und 1914 gedankliche Grundlagen entwickelt wurden, deren Fortleben sich bis in die Gegenwart verfolgen läßt.

 

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Samuel Salzborn: Grenzenlose Heimat – Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände, Berlin 2000, 219 S.

Die Frage, ob die Vertriebenenorganisationen ein Relikt längst vergangener Zeiten oder ein ernstzunehmender Faktor in der gegenwärtigen deutschen politischen Landschaft seien, wird selten sachlich diskutiert. Der Grund liegt vor allem im Mangel an Informationen, die die deutschen Medien zu diesem Thema bieten. Um so wertvoller ist die hier vorliegende Bestandsaufnahme der Arbeit und der Ziele der Vertriebenenverbände. Weiter hier.

 

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Josef Škrábek: Včerejší strach. Jaké to bylo mezi Čechy a Němci? A jaké to bude..., Praha 2003, 310 S.

Dies ist ein bemerkenswertes Memoirenbuch zur Geschichte der deutsch-tschechischen  Beziehungen im 20. Jahrhundert. Der 1928 geborene Verfasser verbrachte große Teile seines Lebens im westböhmischen Städtchen Valeč, in Karlsbad sowie in Prag. Seine Memoiren sind eine Collage aus persönlichen Erinnerungen und historisch-politischen Informationen. Der Verfasser zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe aus, und seine Erinnerungen bestechen durch die moralische Integrität und kommunikative intellektuelle Reflexion. In diskursivem Stil geschrieben, gehen sie auf die vielfältigen Wahrnehmungen verschiedener Menschen ein und analysieren sie einfühlsam, aber gleichzeitig klar und rational. Das Buch fand in Tschechien große Verbreitung und wird auch im kommenden Jahr wieder aufgelgt. Es bietet sich als eine anregende Gesprächsgrundlage für jede Diskussion über die deutsch-tschechischen Beziehungen an.

 

Der Verfasser legte großen Wert darauf, daß seine Erinnerungen als ein unabhängig von finanziellen Subventionen jeder Art – und damit frei von politischer Instrumentalisierung – entstandenes und erschienenes Werk gelesen werden. Am Ende seines Buches fügte er ein von ihm selbst in deutscher Sprache geschriebenes Resumée, in dem er sich direkt „An den deutschen Leser“ wendet und sowohl die Entstehungsgeschichte des Buches wie auch seine eigenen Thesen zum Nachdenken darüber erläutert, wie seiner Meinung nach die deutsch-tschechische Verständigung verbessert werden könnte.

Weiter zur Buchbesprechung in der tschechischen Wochenzeitung Týden, 11.8.2003 und zu dem Text: An den deutschen Leser.

Im Jahre 2006 ist dieses Buch in deutscher Sprache erschienen als
Josef Škrábek: Die gestrige Angst. Deutsche und Tschechen
- Schwierige Nachbarschaft in der Mitte Europas. Ein autobiographischer Essay. Mit einem Geleitwort von Václav Havel, Neisse Verlag Dresden-Brno 2006
 

Mehr Informationen hier.

 

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Milada Kouřimská: Frederic W. Nielsen – Ein deutsches Emigrantenschicksal, in: Exil. Forschungen, Erkenntnisse, Ergebnisse 23, 2003, Nr. 2, S. 84-90

Diesem Essay liegt ein Vortrag zugrunde, dem am 6. November 2003 in der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main gehalten wurde. Es bietet eine biographische Skizze und die Würdigung des bemerkenswerten Werkes von Friedrich Wallerstein (1903-1996), der unter dem Namen Frederic W. Nielsen als Publizist, Dichter und Schriftsteller bekannt ist. Der in Stuttgart geborene und seit 1928 in Berlin lebende Schauspieler (Schüler u.a. von Max Reinhardt) fand 1933 als Nazi-Gegner Zuflucht in Prag und blieb dieser Stadt bis zum Lebensende eng verbunden. Bekannt wurde er schon 1934 wegen seiner literarischen Darbietung „Buch in Flammen“, die er zum ersten Jahrestag der Bücherverbrennungen verfaßte und in Prag aufführte,  aber auch seine erste Gedichtsammlung „Kleiner Zyklus Deutschland“ sowie seine Übersetzungen tschechischer Literatur fanden ein breites Echo. Den Krieg verbrachte er in England, lebte seit 1949 in den USA und kehrte erst 1960 nach Deutschland zurück. Sein unermüdliches publizistisches Engagement zugunsten humanistisch pazifistischen Ideale machte ihn zu einem profilierten Kritiker des Faschismus in der Zwischenkriegszeit sowie des deutschen Revisionismus in der BRD, wie u. a. sein Buch „Vertriebene Vertreiber in der Tschechoslowakei 1938-1946“ (Östringen 1995) zeigt. Es ist eine Dokumentensammlung, gewidmet „den schuldlosen Opfern sudetendeutscher Vertreiber“.

 

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Emil Hruška: Sudetendeutsche Kapitel. Studie zu Ursprung und Entwicklung der sudetendeutschen Anschlußbewegung, hrsg. v. der Redaktion der Deutsch-Tschechischen Nachrichten, München 2003, 124 S.

Diese bearbeitete Übersetzung eines 2002 in Prag veröffentlichten Buchs bietet eine zusammenfassende übersichtliche Darstellung der sudetendeutschen völkischen Bewegung bzw. der Sudetendeutschen Partei, beschäftigt sich mit Ursprung, Entwicklung und Bedeutung der Begriffe „Sudeten“, „sudetendeutsch“ und „Sudetenland“ und enthält eine Porträtskizze Konrad Henleins. Daneben behandelt der Autor die antitschechoslowakische NS-Propaganda, die geheimdienstlichen NS-Aktivitäten sowie die Geschichte des Sudetendeutschen Freikorps. Im Anhang finden sich zehn Dokumente aus den Jahren 1933-1938. Der Verfasser, Dr. Emil Hruška (*1958 in Mladá Boleslav) lebt in Pilsen, studierte Jura und Journalistik, wirkt als Publizist und Schriftsteller und ist u. a. Mitglied der Redaktion der Deutsch-Tschechischen Nachrichten.

 

Umsiedlung, Flucht und Vertreibung der Deutschen als internationales Problem. Zur Geschichte eines europäischen Irrwegs. Darstellung und Perspektiven. Das Thema im Unterricht. Quellen und Materialien, hrsg. v. Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg; Konzeption, wissenschaftliche Leitung und Bearbeitung Dr. Matthias Beer, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen, Stuttgart 2002, 92 S.

 

Diese Veröffentlichung liefert ein Beispiel dafür, wie nun seit neuestem im deutschen Schulunterricht die Geschichte der deutschen Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten gelehrt werden soll. Weiter hier.

 

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Gerhard Fuchs: Ein Sechsstaatenbürger. Teil 1: Jugend in Böhmen, Leipzig 1998; Teil II/1: Erwachsen in Sachsen. Neubeginn 1946-1953, Leipzig 2001

In diesen Memoiren begegnet man den Erinnerungen eines aus Böhmen stammenden Historikers mit einem ungewöhnlich unkomplizierten Verhältnis zu seinen tschechischen Nachbarn. Das Buch bietet viele in der deutschen Erinnerungsliteratur ungewöhnlichen Beobachtungen eines aufmerksamen heranwachsenden Jugendlichen während des Krieges: „Am nächsten Morgen näherte sich vom Hydrierwerk her im Fußmarsch eine graue Kolonne, die wir bald als KZ-Häftlinge ausmachten. Bewacht von SS-Leuten und von als Kapos fungierenden Kriminellen mit Schreien und Knüppeln angetrieben, mußten sie die Bombentrichter zuschütten. Als den ausgemergelten Gestalten eine Pause gewährt wurde, ließ man einen Häftling, nach Aussehen und Sprache Süditaliener, zum sichtbaren Ergötzen der Bewacher und Kapos ein Lied singen...“ Diese detaillierte und einfühlsame Beobachtung einer Alltagsszene zeigt, wie sachlich und reflektiert der spätere Historiker Gerhard Fuchs über seine Lebenswege berichtet und warum seine Memoiren lesenwert sind:

 

„Als dann die ersten Informationen darüber kamen, daß die Deutschen ausgesiedelt werden sollten, hatte das natürlich zunächst eine schockartige Wirkung, wurde aber bald in unserer Familie in den Rahmen der Schuldfrage gestellt: ‚Mit den von den Deutschen verübten fürchterlichen Verbrechen sind auch wir schuldig geworden und müssen dafür büßen.’ Dies war natürlich kein abgewogenes politisches oder gar völkerrechtliches Urteil, die uns damals gar nicht geläufige Frage nach einer Kollektivschuld damit in keiner Weise beantwortet. Vaters Worte drückten vielmehr die innere Bereitschaft aus, sich nicht in nationalistischen Trotz zu verschließen, sondern Herz und Verstand dem Problem zu öffnen, wie nach der bis dahin größten, von Deutschland verursachten Katastrophe der Menschheitsgeschichte mit den Richtwerten Schuld, Sühne, Vergebung, Versöhnung ein neues, gedeihliches Zusammenleben der verfeindeten Völker gestaltet werden könnte.“ (Teil 1, S. 118)

 

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Hunno Hochberger / Emil Hruška: Der deutsche Hegemonialanspruch: Gefahr für Mitteleuropa. Thesen zur Entwicklung der (sudeten-)deutsch-tschechischen Beziehungen. Ein historisches Lesebuch, Stuttgart 1998, 255 S.

Im Vorwort dieses Buches wird der Anlaß zur Erarbeitung dieses ‚historisches Lesebuchs‘ erläutert, der durch die praktische Politik gegeben wurde: „In Diskussionen zwischen tschechischen und deutschen Linken sind wir immer wieder darauf gestoßen, daß die Sicht auf die deutsch-tschechischen Beziehungen in Deutschland durch zwei große Kräfte bestimmt wird: Die Staatspolitik der BRD, die sich als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches betrachtet und Scnittstellen zu dessen großdeutschen und völkischen Traditionen nicht aufgeben will. Und die Traditionsverbände des Sudetendeutschtums, die, von staatlichen Stellen am Leben gehalten, über Vertreibung klagen und Heimatrecht einfordern. Der auch in der deutschen Öffentlichkeit starke Wunsch nach Völkerverständigung und guter Nachbarschaft ist auf ungute Weise mit diesen Traditionen verquickt. So hat es sehr oft für unsere Nachbarn etwas Bedrohliches, wenn ‚Deutsche auf Tschechen zugehen’, immer dann nämlich, wenn sie zu weit gehen.“ Die Verfasser dieses Buches sind der Meinung, daß in der deutschen Öffentlichkeit „die Macht der Tradition unterschätzt“ werde, „die sich in der öffentlichen Meinung, in der politischen Haltung und im Staatsrecht niederschlägt“.

 

Wer sich darüber informieren möchte, welche Gründe dieser Sicht der deutsch-tschechischen Kommunikationsschwierigkeiten zugrunde liegen, findet in diesem Buch eine bemerkenswerte historische Abhandlung mit aktuellen Bezügen ebenso wie eine große Anzahl heute kaum mehr in der Öffentlichkeit bekannter Quellentexte. Würde je dieses Buch in die von sudetendeutschen Organisationen so beliebten deutsch-tschechischen Begegnungen als eine Gesprächsunterlage miteinbezogen werden, könnten sich die Diskussionen und Verständigungsbemühungen schlagartig um einen Meilenschritt fortbewegen; bis jetzt ist nicht bekannt, daß eine sudetendeutsche Organisation Interesse an der Diskussion der hier thematisierten Fragen auch nur gezeigt hätte.

 

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Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien / Shromáždění Němců v Čechách, na Moravě a ve Slezsku 2003

 

23 in der Landesversammlung zusammengeschlossenen Regionalverbände der deutschen Minderheit in Tschechien bieten in dieser Veröffentlichung einen bemerkenswerten  Überblick über ihre Geschichte und Tätigkeit im Jahre 2003: Organisation der Deutschen in Westböhmen (260 Mitglieder), Bund der Deutschen Landschaft Egerland (1100 Mitgl.), Egerländer Gmoi z’Schaggenwald (90 Mtgl.), Bund der Deutschen Region Erzgebigre und sein Vorland (180 Mitgl.), Verband der Deutschen [VdD] Region Reichenberg (630 Mtgl.), VdD im Bereich Gablonz (162 Mtgl.), Begegnungszentrum Trautenau, VdD Region Prag und Mittelböhmen (80 Mtgl.), Der Böhmerwaldverein (79 Mtgl.), Iglauer Regionalkulturverband (ca. 110 Mtgl.), Deutscher Kulturverband Region Brünn (ca. 150 Mtgl.), Deutscher Sprach- und Kulturverein Brünn (103 Mtgl.), VdD in der ČR – Mährisch Trübau (98 Mtgl.), VdD Nordmähren-Adlergebirge (620 Mtgl.), Schlesisch-Deutscher Verband Jägerndorf (138 Mtgl.), Schlesisch-Deutscher Verband Troppa (260 Mtgl.), Deutscher Freundeskreis Krawarn (483 Mtgl.), Deutscher Freundeskreis Schepankowitz (70 Mtgl.), Der Schlesisch-Deutscher Verband im Hultschiner Ländchen (267 Mtgl.), Schlesisch-Deutcher Freundeskreis in Hultschin (108 Mtgl.), Deutscher Freundschaftskreis in der Ortschafts Ludgerstal (60 Mitgl.), VdD in Teschner Schlesien (467 Mtgl.).

 

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Bernd Posselt: Sturmzeichen. Politische Texte 1978-1994. Mit einem Vorwort von Otto von Habsburg, Wien-München 1994, 321 S.

Dieses Buch bietet einmalige Einsichten in die mentale Welt eines der heute bekanntesten Repräsentanten der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt. Es wurde in dem Amalthea-Verlag veröffentlicht, der dem führenden sudetendeutschen Politiker und Mitglied des Witikobundes, Herbert Fleissner, gehört, den Posselt wiederum als seinen Verleger bezeichnet (S. 13), und mit einem Vorwort des ehemaligen Thronfolgers Otto von Habsburg versehen, als dessen politischer Zögling sich Posselt präsentiert.  Weiter hier.

 

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Horst Rudolf Übelacker: Die Zukunft Europas und das Sudetenland : Beiträge aus gesamtdeutscher Sicht zu Fragen des Rechts und der Politik, Tübingen [u.a.] : Hohenrain-Verl., 1992, 104 S. (Schriftenreihe des Witikobundes e.V. Nr. 45)

Neben den umfangreichen Memoiren von Walter Becher und der Aufsatzsammlung „Sturmzeichen“ von Bernd Posselt liegt mit diesem Buch das dritte grundlegende Werk vor, in dem die mentale Welt eines weiteren heute führenden sudetendeutschen Politikers kennenlernen kann. Horst R. Übelacker studierte u. a. Staats- und Völkerrecht bei Hermann Raschhofer an der Universität Würzburg, wirkte u. a. als Bundesbankdirektor und als Mitglied der sudetendeutschen Bundesversammlung und des Sudetendeutschen Rates und gehört zu den führenden Persönlichkeiten des Witikobundes; gegenwärtig ist er dessen Bundesvorsitzender. Weiter hier.

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Walter Becher: Zeitzeuge. Ein Lebensbericht, München 1990, 495 S.

Diese umfangreichen Memoiren eines der führenden sudetendeutschen Politiker stellen ein interessantes Dokument zur Geschichte der sudetendeutschen völkischen Bewegung dar. Weiter hier.

 

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Edmund Jauernig: Sozialdemokratie und Revanschismus. Zur Geschichte und Politik Wenzel Jakschs und der Seliger-Gemeinde, Berlin (DDR) 1968, 289 S.

In diesem vom traditionellen Jargon der kommunistischen Regime geprägten Buch findet man sehr wichtige Einblicke in die Geschichte der politischer Spaltung der deutschen Sozialdemokratie aus der Tschechoslowakei, zu der es im Zuge des Münchner Abkommens kam. Ein Teil der ehemaligen Mitglieder dieser Partei lehnte es unter der Führung von Wenzel Jaksch damals im Londoner Exil ab, sich für die Wiederherstellung der von Hitler zerstörten europäischen Staatenordnung und das hieß konkret im Fall der Tschechoslowakei sich für die Wiederherstellung dieses Staates einzusetzen. Damals entzündete sich ein Konflikt, der zu jener schon erwähnten Spaltung der Sozialdemokraten führte, die dann eine maßgebliche Rolle in den politischen Auseinandersetzungen um die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei spielte und sich sich auch nach dem Krieg bemerkbar machte. Wenzel Jaksch und die später von ihm geleitete Seliger Gemeinde wurde in der Bundesrepublik vor allem für ihre Zusammenarbeit mit ehemaligen sudetendeutschen Nationalsozialisten in der Sudetendeutschen Landsmannschaft kritisiert. Diese Konflikte werden in diesem Buch dargestellt, dokumentiert und erläutert, und im Anhang finden sich auch einige Schlüsseldokumente im vollen Wortlaut.

 

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Kurt Nelhiebel: Die Henleins gestern und heute. Hintergründe und Ziele des Witikobundes, Frankfurt/Main 1962,87 S.

Im Vorwort zu diesem bemerkenswerten Buch aus dem Jahre 1962 wird an die letzten nationalsozialistischen Justizmorde in Prag erinnert und das Anliegen erläutert:

 

„Es ist nicht der Zweck dieser Schrift, die an den Todesurteilen gegen Tschechen und Slowaken beteiligten Richter und Staatsanwälte anzuklagen, von denen der und jener heute noch in Amt und Würden ist. Sie richtet sich gegen jene, deren politische Tätigkeit vor und nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch NS-Truppen die Voraussetzungen für den blutigen Terror mitschuf. Sie ist eine Anklage gegen die ehemaligen Führer der ‚Fünften Kolonne’ Hitlers.

Diese Anklage würde heute nicht erhoben, wenn die intellektuell mitschuldig Gewordenen sich zum Zeichen ihrer Reue und Scham von der politischen Bühne zurückgezogen hätten. Aber viele der Männer, deren Namen mit der Ausrottungs- und Germanisierungspolitik gegen das tschechoslowakische Volk verbunden sind, zeigen weder Reue noch Scham. Im Gegenteil. Sie erblicken in ihrer Tätigkeit für die Ziele der NS-Ideologie eine Art von Legitimation zu erneuter politischer Aktivität; einer Aktivität, die sich nicht an den Erfordernissen einer auf gutnachbarliche Beziehungen bedachten Politik orientiert.“ (S. 6)

 

Kurt Nelhiebel bietet eine erschütternde Bilanz der Kontinuitäten im sudetendeutschen politischen Leben vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb einer der drei bedeutendsten sudetendeutschen Organisationen, dem Witikobund. Weiter hier.

 

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Elizabeth Wiskemann: Germany's Eastern Neighbours. Problems Relating to the Oder-Neisse Line and the Czech Frontiers Regions, London et al. 1956, 309 S.

In dieser außerordentlich gut informierten Studie liegt die historisch erste umfassende Darstellung zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Vertriebenenorganisationen, ihrer politischen Ziele sowie ihrer Rolle im bundesdeutschen politischen Leben vor. In den einleitenden Teilen bietet Elisabeth Wiskemann eine sorgfältig erarbeitete Geschichte der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus dem östlichen Europa, die sich in zwei Punkten von den gängigen deutschen Darstellungen unterscheidet:

- die Autorin verwendet zwar schon die in den ersten Jahren der Bundesrepublik veröffentlichten Dokumentationen zur Vertreibung, hat sie aber schon damals kritisch gelesen und mit anderen damals vorhandenen einschlägigen Quellen verglichen;

- im Unterschied zu den damaligen Vertriebenendarstellungen sowie den heute populär gewordenen Gepflogenheiten bettet Wiskemann die Vertreibung in den historischen Kontext ein.

 

Im Fokus dieser Studie stehen jedoch die damals gerade etablierten Vertriebenenorganisationen sowie ihre Forderungen, deren schwerwiegende Folgen für die Entwicklung der internationalen Beziehungen Wiskemann schon klar erkannte und analysierte.

Miteinbezogen in ihrer Studie wurden auch die Untersuchungen über die Entwicklung und Neubesiedlung der tschechoslowakischen und polnischen Grenzgebiete sowie die Lebensbedingungen der in Polen sowie in der Tschechoslowakei verbliebenen deutschen Minderheiten. In der Bundesrepublik erweckte das Buch damals eine beachtliche Welle ablehnender protestierender Proteste, und darin ist wohl die Ursache dafür zu suchen, daß dieses bemerkenswerte Buch bis heute weder in die deutsche, noch in die tschechische Sprache übersetzt wurde.

 

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Elisabeth Wiskemann: Czechs & Germans. A Study of the Struggle in the Historic Provinces of Bohemia and Moravia. London et al. 1967, 1st ed. 1938.

Dieses Buch stellt eine bemerkenswerte historische Studie dar, kann aber zugleich als eine wichtige historische Quelle gelesen werden. Es ist unmittelbar vor dem Münchner Abkommen 1938 entstanden und im Sommer jenes Jahres erschienen; Lord Runciman wurde sogar mit diesem Buch in der Hand photographiert (obgleich es nicht bekannt ist, ob er es auch gelesen habe). Die Autorin unternahm ihre Forschungen im Auftrag des Royal Institute of Foreign Affairs in London und verbrachte den größten Teil des Jahres 1937 in der Tschechoslowakei. Sie reiste viel, vor allem in den Grenzgebieten der Tschechoslowakei, und widmete sowohl den damals schwierigen sozialen Lebensbedingungen der deutschsprachigen Bevölkerung wie auch den bürgerkriegsähnlichen politischen Verhältnissen in den damaligen vorwiegend deutschsprachigen Gegenden des Landes, als die militante sudetendeutsche völkische Bewegung häufig gewaltsam gegen ihre Kritiker aus den demokratischen und antifaschistischen Milieus vorging, große Aufmerksamkeit. Das Buch, leider bis heute weder auf deutsch noch auf tschechisch veröffentlicht, bietet eine auch heute noch interessante und informationsreiche Lektüre zu dem dramatischen und folgenreichen München-Kapitel der europäischen Geschichte.

 

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Mark Cornwall: Elizabeth Wiskemann and the Sudeten Question: A Woman at the ‚essential hinge’ of Europe, in: Central Europe, Vol. 1, No. 1, May 2003, S. 55-75

Der britische Historiker erzählt in diesem Aufsatz anhand sorgfältiger Archivforschungen die Entstehungsgeschichte eines der Standardwerke zur Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen, des Buches von Elizabeth Wiskemann: Czechs & Germans  aus dem Jahre 1938. Dabei wird u. a. deutlich sichtbar, wie falsch es wäre, die wissenschaftliche Forschungsarbeit auf diesem Gebiet in Großbritannien als unabhängig von politischen Einflüssen anzusehen: Auch die unerschrockene Kritikerin des Nationalsozialismus stand damals in London von verschiedenen Seiten unter politischem Druck. Nur dank ihrer moralischen und intellektueller Integrität ist es ihr trotzdem gelungen, eine bemerkenswerte Analyse vorzulegen.

 

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