Biographische Skizzen

Hermann Aubin, * 23. 12. 1885 Liberec (Reichenberg), + 11. 3. 1969 Freiburg i. Br., gehört zu den bekanntesten sudetendeutschen völkischen Historikern. Ab 1925 war er Professor an der Universität Gießen, 1929-1945 in Breslau und 1946-1954 o. Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg. Obwohl schwer belastet aus der NS-Zeit, gehörte Aubin auch in der Bundesrepublik zu den einflußreichsten Mitgründern der wiedererrichteten wissenschaftlichen Einrichtungen der sog. Ostforschung (u. a. 1950-1959 Vorsitzender des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrates), war aber auch 1953-1958 Präsident des Verbandes der Historiker Deutschlands. Seit den 1970er Jahren wurde seine NS-Vergangenheit von mehreren deutschen Historikern kritisiert, während er im sudetendeutschen Milieu auch weiterhin kritiklos hohes Ansehen genoß (z. B. als ein moderner Historiker, der für das Verhältnis zu Polen und Tschechen „Symbiose anstelle von Rivalität“ forderte, vgl. Ferdinand Seibt: Hermann Aubin. Eine Würdigung zu seinem 80. Geburtstag, in: Sudetendeutscher Kulturalmanach 6 [1965], S. 172-175, hier S. 174; vgl. auch Ders.: Ostkunde und Ostforschung mit neuen Zielen, in: Gräben und Brücken. Berichte und Beiträge zur Geschichte und Gegenwart Ostmitteleuropas. Festschrift für Ernst Nittner zum 65. Geburtstag, hg. v. Horst Glassl u. Franz Olbert, München 1980, S. 116-123). Über Aubins NS-Tätigkeit vgl. u. a. Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten (Göttingen 2000) und Michael Burleigh: Germany Turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich (Cambridge et al. 1988).

Edvard Beneš, * 28. 5. 1884 Kožlany, + 3. 9. 1948 Sezimovo Ústí, Studium der Sozialwissenschaften in Prag und Dijon, während des Ersten Weltkriegs enge Mitarbeiter von Tomáš G. Masaryk. 1918-1935 Außenminister, danach bis 1948 Präsident der Tschechoslowakei, während des Zweiten Weltkriegs im Exil. In der Zwischenkriegszeit Vertediger der neuen europäischen Staatenordnung, führende Persönlichkeit des Völkerbundes und engagierter Protagonist der Bemühungen um kollektive Sicherheit. In Deutschland war er seit 1918 Haßojekt aller revisionistischen, großdeutschvölkischen nationalsozialistischen Politiker und Publizisten, in der BRD wurde von den völkischen Vertriebenenverbände das Image von Beneš als Urheber der Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa bis heute verbreitet.

Walter Brand, * 23. 11. 1907 Żyrardów bei Warschau, + 24. 12. 1980 Mühldorf am Inn, einer der führenden sudetendeutschen Ideologen und Politiker sowohl vor wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Während seiner Studienzeit in Wien trat er 1931 der NSDAP bei, war ein enger persönlicher Freund Konrad Henleins, 1933 Mitgründer der Sudetendeutschen Heimatfront und Chefredakteur ihrer Zeitung Die Zeit, seit 1936 Leiter des Parteisekretariats in Prag. 1938 führender Organisator des NS-Sudetendeutschen Freicorps, Hauptsturmführer der SA. Nach innerparteilichen Konflikten 1939-1945 KZ-Häftling in Sachsenhausen, Natzweiler und Heinkel-Oranienburg. Nach dem Kriegsende Vertriebenenfunktionär in Bayern, u. a. Vorsitzender des Witiko-Bundes und stellvertretender Vorsitzender des Sudetendeutschen Landsmannschaft (vgl. Kurt Nelhiebel: Die Henleins gestern und heute. Hintergründe und Ziele des Witikobundes, Frankfurt/M. 1962). Brand wirkte auch als Publizist und Buchautor, aus der Nachkriegszeit sind v. a. seine bis heute spürbaren Bemühungen bekannt, Konrad Henlein in der BRD als eine führungsschwache und in „die politisch völlig belanglos gewordene Rolle eines sudetendeutschen Gauleiters“ abgeschobene Persönlichkeit zu verteidigen (Walter Brand: Die sudetendeutsche Tragödie, Lauf bei Nürnberg 1949, S. 54). Der Erfolg seiner Bemühungen zeigen u. a. die apologetischen Töne im letzten Satz der im Jahre 1999 vom Collegium Carolinum veröffentlichten rund 400 S. umfassenden biographischen Studie: „Henlein war nicht der fanatisch-begeisterte und machtgierige Nationalsozialist, als der er beschrieben wurde.“ (Ralf Gebel: „Heim ins Reich!“ Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland 1938-1945, München 1999, S. 373). Empfehlenswert ist auch der Vergleich von Walter Brand: Die geistigen Grundlagen unserer Bewegung mit seiner programmatischen Rede aus dem Jahre 1950 (Walter Brand: Unsere geistige und politische Position. Vortrag, gehalten auf der Jahrestagung des „Witiko-Bundes“ in Stuttgart am 1. Oktober 1950, in: Der Witiko-Bund. Aufgabe und Verpflichtung, im Selbstverlag 1951, S. 18-39).

Herbert Cysarz, * 29. 1. 1896 Bohumín (Oderberg), + 1. 1. 1985 München, 1928-1938 Professor für Germanistik an der deutschen Universität in Prag, 1938-1945 an der Universität München. Einer der militantesten sudetendeutschen völkischen und später NS-Autoren, nahm teil u.a. an der Aktion „Deutsche Wissenschaft im Kriegseinsatz“. Nach dem Krieg wurde er wegen seiner NS-Tätigkeit vom Universitätsleben ausgeschlossen, wirkte dennoch 1957-1985 als Mitglied im Münchner Collegium Carolinum. 1969 mit dem Großen Sudetendeutschen Kulturpreis ausgezeichnet, wird im sudetendeutschen Milieu bis heute mit apologetischen Variatonen der Hochachtung erinnert („Die zehnjährige Lehrtätigkeit an der Deutschen Universität in Prag führte Herbert Cysarz in die kulturelle Zentrale und geistige Bastion des sudetendeutschen Abwehrkampfes gegen die tschechische Unterdrückung“, Sudetendeutsche Zeitung 2. 2. 1996); für die wissenschaftliche Variante vgl. Peter Becher: Herbert Cysarz (1896-1985), Germanist. Seine Prager Universitätsjahre, in: Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik, hg. v. Monika Glettler u. Alena Míšková, Essen 2001, S. 277-297 und die Biographie in: 25 Jahre Collegium Carolinum München 1956-1981, München 1982, S. 65-66 (2. Aufl. München 2002).

Gustav Fochler-Hauke, * 4. 8. 1906 Opava (Troppau), + 20. 1. 1996 München, völkischer Geograph, Schüler des berüchtigten NS-Geopolitikers Karl Haushofer in München, 1938 Univ.-Doz. an der Universität in München, dort 1944-1945 apl. Professor. 1948-1954 fand er zusammen mit seinem sudetendeutschen Freund und Kollegen, dem berüchtigten Ostforscher Fritz Machatchek, Zuflucht in Argentinien (Bohemia 1, 1960, S. 396-398), nach seiner Rückkehr 1954-1973 apl. Professor an der Universität München. Erfolgreicher Autor in der Bundesrepublik, 1956 erhielt er die Silberne C. Ritter-Medaille der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin und 1969 den Großem Kulturpreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft.

Karl Hermann Frank, * 24. 1. 1898 Karlovy Vary (Karlsbad), + 22. 5. 1946 Prag, Buchhändler in Karlsbad, seit 1933 Propagandachef der Sudetendeutschen Partei, ab 1935 Abgeordneter im Prager Parlament, 1938 stellvertretender Gauleiter im Sudetengau und seit 19. 3. 1939 Staatssekretär beim Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, ab 1943 Staatsminister, SS-Obergruppenführer. Einer der Hauptverantwortlichen für die NS-Besatzungspolitik in der Tschechoslowakei, wurde er im Mai 1945 von den USA an die ČSR ausgeliefert und dort zum Tode verurteilt. Vgl. die apologetische Biographie von seinem Bruder Ernst Frank (Hg.): Karl Hermann Frank. Mein Leben für Böhmen. Als Staatsminister im Protektorat, Kiel 1994.

Erich Gierach, * 23. 11. 1881 Bydgoszcz/Polen (Bromberg), + 16. 12. 1943 München, seit 1887 in Reichenberg (Liberec) aufgewachsen, dort 1906-1921 Lehrer der modernen Sprachen an der Handelsakademie, 1921-1936 Professor für ältere deutsche Philologie an der deutschen Universität in Prag und seit 1936 in München. Initiator und seit der Gründung 1925 Leiter der Anstalt für Sudetendeutsche Heimatforschung in Reichenberg, zusammen mit Emil Lehmann führender Organisator der sudetendeutschen völkischen Bewegung. 1938 hat sich Gierach von München aus als Freiwilliger zum Sudetendeutschen Freicorps gemeldet und an dem Einmarsch in die Tschechoslowakei beteiligt. Als einer der einflußreichsten NS-Germanisten im Dritten Reich wurde Gierach vielfach geehrt (u. a. mit dem Sammelband: Wissenschaft im Volkstumskampf. Festschrift Erich Gierach zu seinem 60. Geburtstage überreicht von Freunden, Schülern und Fachgenossen, hg. v. Kurt Oberdorffer, Bruno Schier u. Wilhelm Wostry, Reichenberg 1941). Seine Anhänger sorgten auch dafür, daß sein Image im sudetendeutschen Millieu der Bundesrepublik unbefleckt von jeglicher kritischer Reflexion gepflegt werden konnte: an den als Erzvater des Sudetendeutschtums (in: Sudetendeutschtum gestern und heute – eine gesamtdeutsche Verpflichtung, hg. v. Heinrich Kuhn, München 1986, S. 77) bekannten Wissenschaftler erinnerten z. B. 1962 seine ehemaligen Kollegen im Zusammenhang mit dem Jahr 1941, als „der ganzen Nation bewußt [wurde], daß Gierach zwei Jahrzehnte lang mit Weitblick, Tatkraft und Verantwortungsbewußtsein die wissenschaftliche Arbeit unserer größten auslanddeutschen Volksgruppe gelenkt hat“ (Bohemia 3, 1962, S. 576). Vgl. auch Gerd Simon: Die hochfliegenden Pläne eines „nichtamtlichen Kulturministers“ (Tübingen 1998) und Volker Lang: Erich Gierachs Veröffentlichungen zum germanisch-slawischen Sprachkontakt als Mittel der Propaganda gegen die Erste Tschechoslowakische Republik 1918-1938 (Unveröffentlichte Magisterarbeit, Mannheim 1996).

Konrad Henlein, * 6. 5. 1898 Vratislavice nad Nisou, + 10. 5. 1945 Plzeň (Pilsen), Soldat im Ersten Weltkrieg, 1919 Bankangestellter in Jablonec nad Nisou (Gablonz), ab 1925 Turnlehrer und ab 1930 Leiter der Turnschule in Aš (Asch). 1933 Mitbegründer und „Führer“ der völkischen Sudetendeutschen Heimatbewegung (1935 in Sudetendeutsche Partei umbenannt), die für die erste ethnisch begründete Landesteilung in der Geschichte der böhmischen Länder und den Anschluß der vorwiegend deutschsprachigen Gebiete an das NS-Großsdeutsche Reich verantwortlich war. Ab Mitte September 1938 organisierte er in Deutschland paramilitärische Einheiten (Sudetendeutsches Freicorps) und deren grenzüberschreitende Einsätze zur Zerschlagung der Tschechoslowakei (mit über 100 Opfern innerhalb von zwei Wochen). Nach dem Zusammenschluß seiner Partei (5. 11. 1938) mit der NSDAP zum Gruppenführer (und später Obergruppenführer) der SS ernannt, an der deutschen Besatzung des sog. Protektorats Böhmen und Mähren 1939 als Leiter der Zivilverwaltung beteiligt und 1939-1945 Gauleiter und Reichsstatthalter im Reichsgau Sudetenland. In der BRD begründete Walter Brand die apologetische Henlein-Legende eines beliebten sudetendeutschen Politikers, der im Dritten Reich “ohne wirklichen politischen Einfluß” war (Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 1, S. 595).

Wenzel Jaksch, * 25. 9. 1896 Dlouhá Stropnice bei Kaplice, + 27.11.1966 Wiesbaden. Jaksch war 1921-1939 Abgeordneter der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSDAP) im tschechoslowakischen Parlament, in der Emigration wirkte er 1939-1949 in London, u. a. als Vorsitzender der von ihm gegründeten „Treuegemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten“, die sich von der DSDAP abspaltete. Die Hauptursachen dieser Spaltung war die von Jaksch vertretene deutschvölkische Ideologie und sein Unwillens, die Tschechoslowakei in den Grenzen von vor 1938 wiederherzustellen. Jaksch politische Konflikte mit den britischen und amerikanischen Behörden hatten zur Folge, daß ihm bis 1949 die Übersiedlung nach Deutschland verwehrt wurde. 1950-53 wirkte er im Hessischen Innenministerium als Leiter des Landesamtes für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte. Mitgründer und 1951-1966 Vorsitzender der Seliger-Gemeinde, Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten, Mitglied des SPD-Parteivorstands, 1953-1966 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, 1958 Vorstandsmitglied und Vizepräsident sowie ab 1964 Präsident des Bundes der Vertriebenen, 1959 Präsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, gehörte bis 1964 der sog. Ministermannschaft des SPD-Kanzlerkandidaten Willi Brandt an. Sein 1958 erschienenes Buch „Europas Weg nach Potsdam“ prägte die bis heute populären Bilder der tschechischen Geschichte, der Ersten tschechoslowakischen Republik und der Interpretationen der Vertreibung in der deutschen Nachkriegsgesellschaft; diesem Vorbild ist auch das 2003 veröffentlichte Buch von Peter Glotz: Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück verpflichtet.

Franz Jesser, * 1. 7. 1869 Svitavy, + 16. 3. 1954 Frankfurt/Main, Publizist und Politiker, seit 1898 sog. Wanderlehrer des Bundes der Deutschen, 1905 Sekretär der Deutschen Agrarpartei in Böhmen, 1907-1911 ihr Abgeordneter im Wiener Reichsrat, 1911-1918 Abgeordneter der Deutschen Volkspartei, 1920-1933 Senator der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei in der Prager Nationalversammlung, 1933-1945 Bibliothekar in Svitavy. Seit den Anfängen seiner politischen Tätigkeit bei der alldeutschen Bewegung Georg Ritter von Schönerers (vgl. Rudolf Lochner über Georg von Schönerer) pflegte er enge Kontakte mit den wichtigsten Protagonisten der NS-Bewegung in den böhmischen Ländern (v. a. Hans Knirsch), in der BRD war er Mitarbeiter der sudetendeutschen Vereinigung Ackermann-Gemeinde. In der Einleitung zu seinen 1983 vom Münchner Sudetendeutschen Archiv herausgegebenen Memoiren wurde er als „Volkstumspolitiker“ und „einer der wenigen politischen Theoretiker des Sudetendeutschtums“ bezeichnet (Franz Jesser: Volkstumskampf und Ausgleich im Herzen Europas. Erinnerungen eines sudetendeutschen Politikers, aufgezeichnet von Dr. Arthur Herr, Nürnberg 1983, S. 8).

Karel Kramář, * 27.12.1860 Vysoké nad Jizerou, + 26. 5. 1937 Prag, einer der bekanntesten tschechischen Politiker. Studierte Rechtswissenschaften und Soziologie an den Universitäten in Prag, Straßburg und Berlin sowie an der École des Sciences Politiques in Paris, um 1890 arbeitete er mit Tomáš G. Masaryk zusammen, seit 1891 Abgeordneter in Wiener Reichsrat und 1894-1913 im böhmischen Landtag. 1915 aus politischen Gründen verhaftet und zur Todesstrafe verurteilt, 1917 freigelassen. 1918/19 erster tschechoslowakischer Ministerpräsident, 1918-1937 Abgeordneter im tschechoslowakischen Parlament für die National-Demokratische Partei. Führender Kritiker der sog. Burg-Politik von Masaryk und Edvard Beneš.

Hans Krebs, * 26. 4. 1888 Jihlava (Iglau), + 15. 2. 1947 Prag, Redakteur und Funktionär der rechtsradikalen antitschechischen sowie antisemitischen alldeutschen Bewegung von Georg von Schönerer in der Habsburgermonarchie (vgl. Rudolf Lochner über Georg von Schönerer), 1918-1931 Hauptgeschäftsführer der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei, 1925-1933 Abgeordnete der Prager Nationalversammlung, flüchtete danach nach Deutschland und wirkte dort im Rang eines Gauleiters der NSDAP u. a. ab 1936 im Großdeutschen Reichstag. 1938-1945 Regierungspräsident in Ústí nad Labem (Aussig), 1947 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Verfasser zahlreicher Bücher und Artikel, die bisher als Quellen zur Erforschung der sudetendeutschen Geschichte von Historikern vernachläßigt wurden, obwohl sein mit Emil Lehmann 1937 veröffentlichtes Buch in der BRD bis heute im Buchhandel lieferbar ist (Hans Krebs/Emil Lehmann: Sudetendeutsche Landeskunde, Kiel 1992, 1. Aufl. Berlin 1937).

Emil Lehmann, * 18. 11. 1880 Trnovany bei Teplice, + 22. 8. 1964 Dresden, 1906-1928 Gymnasiallehrer, trat 1928 aus dem tschechoslowakischen Staatsdienst aus und wurde Geschäftsführer der Gesellschaft für deutsche Volksbildung in Reichenberg (Liberec). Antitschechoslowakischer großdeutscher Agitator, nach der Verurteilung 1935 in Mährisch Ostrau flüchtete er nach Deutschland, dort Honorarprofessor für Volkskunde an der Technischen Hochschule in Dresden. Führender Organisator der sudetendeutschen völkischen Bewegung auf dem Gebiet der sog. Heimat- und Volksbildung, sein Sohn Ernst Lehmann (1906-1990) setzte die Tradition in der BRD fort, u. a. als Protagonist der sog. Ostkunde im Schullunterricht. Vgl. das Kapitel „Sudetoněmečtí osvětáři se s minulostí neloučí, in: Eva Hahnová/Hans Henning Hahn: Sudetoněmecká vzpomínání a zapomínání (Praha 2002).

Ernst Lehmann, * 1906, + 1990, einer der aktivsten Protagonisten des sog. sudetendeutschen Volkstumskampfes vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Sohn von Emil Lehmann, enger Mitarbeiter u. a. von Eugen Lemberg und Karl Valentin Müller. Als Verfasser zahlreicher Publikationen, als Herausgeber sog. ostkundlicher Zeitschriften und als einer der führenden Organisatoren der Bestrebungen um die Einführung der sog. Ostkunde im Schulunterricht gehört er zu den führenden Repräsentanten bzw. Fortsetzer der völkischen Ideologie in der Bundesrepublik Deutschland. Gründungsmitglied des Witikobundes, seine Verdienste um die Traditionspflege der sudetendeutschen Heimat- und Volksbildung wurden aber auch von den führenden Kulturpolitikern der Sudetendeutschen Landsmannschaft geschätzt. Bemerkenswert sind seine Erinnerungen, in denen er offen und ausführlich die kulturhistorischen Kontinuitäten zwischen der völkischen NS- und der Vertriebenenideologie sowie in den personalpolitischen Netzwerken erläuterte (Ernst Lehmann: Um tiefere Wurzeln. Sudetendeutsche Erinnerungen am Abgrund der Ersatzreligion, Verlagshaus Sudetenland, München 1979).

Eugen Lemberg, * 27. 12. 1903 Plzeň (Pilsen), + 25. 12. 1976 Mainz, einer der wichtigsten Ideologen der sudetendeutschen völkischen Bewegung in der Bundesrepublik. Studierte an der Prager deutschen Universität u. a. bei Erich Gierach und gehörte der völkischen katholischen Jugendbewegung an. Im Sommer 1938 flüchtete er aus der Tschechoslowakei nach Deutschland und war propagandistisch für den Sudetendeutschen Freikorps in Dresden tätig, nach der deutschen Besetzung 1938 als Direktor der Lehrerbildungsanstalt in Reichenberg (Liberec), danach im Militärdienst. In den Spannungen der dreißiger Jahre zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus entschied er sich für das NS-Regime und verließ die katholische Kirche. Nach dem Krieg war er Professor für Soziologie des Bildungswesens am Institut für Pädagogische Forschung in Frankfurt/M., als Ideologe maßgeblich an der Errichtung völkischer ostkundlicher Networks in der BRD beteiligt, 1956 Gründungsmitglied des Collegium Carolinum in München, 1956-1963 Präsident des Herder-Forschungsrates. Für die Analyse seiner Memoiren vgl. das Kapitel „Kdyby Hitler nebyl býval udělal tu chybu...“ in: Eva Hahnová/Hans Henning Hahn: Sudetoněmecká vzpomínání a zapomínání (Praha 2002).

Rudolf Lochner, * 3. 9. 1895 Prag, + 23. 4. 1978 Lüneburg, studierte an der Prager deutschen Universität und wurde als enger Mitarbeiter von Erich Gierach und als der Geschäftsführer des „Deutschen Stadtbildungsausschusses“ in Reichenberg (Liberec) einer der aktivsten sudetendeutschen Agitatoren der großdeutschen völkischen Bewegung. 1935 Habilitation in Breslau, 1942-1944 Dozent an der Universität in Posen, 1946 Professor an der Pädagogischen Hochschule in Celle und 1951-1963 in Lüneburg. Zusammen mit Emil Lehmann und Eugen Lemberg gehörte Lochner zu den Ideologen der sog. sudetendeutschen Volksbildung, über deren antidemokratische Haltung u. a. sein Buch aus dem Jahre 1931 Auskunft bietet (Rudolf Lochner: Erweckung der Gefolgschaft. Abriß einer Lehre von den volksbildnerischen Verfahrungsweisen, Reichenberg 1931); für die Auskunft über seine großdeutschen Ziele vgl. u. a. Rudolf Lochner: Die Wandlungen des großdeutschen Gedankens: Rede bei der Feier der nationalen Erhebung und der Reichsgründung am 30. 1. 1936 ( Langensalza-Berlin-Leipzig 1936); Ders.: Sudetendeutschland. Ein Beitrag zur Grenzlanderziehung im ostmitteldeutschen Raum (Berlin-Leipzig 1937) und Ders.: Georg von Schönerer: Ein Erzieher zu Großdeutschland (Bonn 1942; vgl. Rudolf Lochner über Georg von Schönerer). Im sudetendeutschen Milieu wurde er auch in der BRD als „der bedeutendste deutsche Wegbereiter der empirischen Erziehungswissenschaft“ geschätzt (Bohemia 20, 1979, S. 258).

Rudolf Lodgman von Auen (1877-1962) war Nachkomme einer mit den Habsburgern im 16. Jahrhundert aus Spanien nach Böhmen eingewanderten Familie. Verwaltungsjurist, 1911 Abgeordneter im Wiener Reichsrat. 1918/19 stand er als der sog. Landeshauptmann von Deutschböhmen an der Spitze der sudetendeutschen separatistischen Bewegung, die die Gründung der Tschechoslowakischen Republik mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte und den Anschluß jener tschechoslowakischen Grenzgebiete an das Deutsche Reich forderte. Nach deren Mißerfolg wirkte Lodgman als Verwaltungsjurist in der CSR und führendes Mitglied der Deutschen Nationalpartei, einer extrem nationalistischen Partei, die er auch u.a. 1920-1925 als Abgeordnete im tschechoslowakischen Parlament vertrat. 1938 begrüßte er den Einmarsch deutscher NS-Wehrmacht in die CSR mit so viel Begeisterung, daß er sogar ein persönliches Telegramm „an den Führer und Reichkanzler Adolf Hitler“ schickte: „Am Tage des Einmarsches der deutschen Truppen in Teplitz-Schönau begrüße ich Sie, mein Führer, als den Vertreter des Reiches aus übervollen Herzen. Ich danke der Vorsehung, dass es mir gegönt ist, diesen Tag zu erleben, auf dessen Kommen ich seit meiner Jugend gehofft und an dem ich in den letzten zwanzig Jahren trotz der um sich greifenden Verzagtheit geglaubt habe.“ (Václav Kural a kolektiv: Studie o sudetoněmecké otázce, Praha 1996, S. 218-227, hier S. 228).
1945 wurde Lodgman in die Sowjetische Besatzungszone umgesiedelt, ging 1947 nach Freising in Bayern und wirkte 1948-1959 als Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Führender bundesdeutscher Vertriebenenpolitiker, 1950 gehörte er zu den Unterzeichnern der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, 1949 Gründungsvorsitzender der „Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften“ (einer der Vorgängerorganisation des Bundes der Vertriebenen).
Lodgmans programmatische Aussagen zeigen, daß er die Vertriebenenorganisationen keineswegs als Hilfsorganisationen für die Nöte der geplagten Vertriebenen verstand – ihm schwebten viel weitreichendere politische Ziele vor: „Wir kämpfen in dieser veränderten Welt nicht allein um die Wiedergewinnung von Teplitz, Eger, Troppau, Reichenberg, Krummau und Znaim, sondern wir kämpfen auch hier für eine freie Heimat in einem freien Deutschland“ (Sudetendeutsche Zeitung 15. 4. 1961). Darüber hinaus betrafen Lodgmans Ziele lebenslang nicht nur die deutsch-tschechischen Beziehungen, sondern „die nationale Befriedung und die Neuordnung des mitteleuropäischen Raumes“ (Rudolf Lodgman von Auen: Die Aufgabe der Sudetendeutschen, in: Der Europäische Osten, Heft 2, Februar 1957, S. 88-92, hier S. 91).

Tomáš Garrigue Masaryk, * 7. 3. 1850 Hodonín, + 14. 9. 1937 Schloß Lány, 1882-1911 Professor der Philosophie an der tschechischen Universität in Prag, 1891-1893 Abgeordneter des böhmischen Landtags und 1891-1893 und 1907-1911 Abgeordneter des Wiener Reichsrats, führender tschechischer Exilpolitiker im Ersten Weltkrieg, 1918-1935 Präsident der Tschechoslowakischen Republik. International bekannter Philosoph und Soziologe.

Theodor Mayer, * 24. 8.1883 Neukirchen an der Enknach/Österreich, + 26. 11. 1972 Salzburg, wirkte 1921-1930 als Professor der mittelalterlichen Geschichte an der deutschen Universität in Prag, danach in Gießen, 1934-1938 in Freiburg und 1938-1945 an der Universität Marburg. Führender NS-Historiker im Dritten Reich, 1942-1945 Präsident der Monumenta Germaniae Historica in Berlin. 1943 Hon. Prof. der Berliner Universität, Leiter der Abteilung für mittelalterliche Geschichte in der sog. Aktion Ritterbusch, die den „Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaft“ organisierte. Nach 1945 mußte er das deutsche Universitätsleben verlassen, wirkte jedoch u. a. 1956 als Gründungsvorsitzender und seit 1970 Ehrenvorsitzender des Collegium Carolinum in München (vgl. Karl Bosl: Zum 80. Geburtstag von Prof. Theodor Mayer, dem 1. Vorsitzenden des Collegium Carolinum, in: Bohemia 4, 1963, S. 9-14, wo auch jenes Porträt von Theodor Mayer abgebildet ist, das das Collegium Carolinum bei einem der Lieblingsmaler des NS-Regimes, Josef Vietz, damals anfertigen ließ). Für die Informationen über seine NS-Tätigkeit sowie die Geschichte der Entnazifizierung vgl. u. a. Frank-Rutger Hausmann: „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg: die „Aktion Ritterbusch“ 1940-1945 (Dresden 1998, hier weitere bibl. Hinweise); Karen Schönwälder: Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus (Frankfurt/M. 1992) und Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 (München 1993, S. 145-158, 1.Aufl. 1989).

Karl Valentin Müller, * 26. 3. 1896 Podmokly, + 3. 8. 1963 Nürnberg, studierte Sozialanthropologie an der Universität Leipzig, dort habilitierte er sich 1936 und wurde 1939 Professor an der Technischen Hochschule in Dresden. 1941-1945 Professor an der Universität in Prag, führender Fachmann für NS-Rassenlehre und ihre Anwendung in der Geschichtsschreibung der böhmischen Länder. Nach dem Kriegsende wurde aus dem Rassentheoretiker ein Soziologe und ein Fachmann für Flüchtlingsfragen, ab 1955 Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Sozialwissenschaften in Nürnberg.

Kurt Oberdorffer, * 28. 4. 1900 Šluknov (Schluckenau), + 10. 11. 1980 Traunreut/Bayern, Historiker und Archivar, 1924-1938 Stadtarchivar und Museumsleiter in Most (Brüx), 1940-1945 Leiter der Abteilung für Kultur und Wissenschaft im Amt der Gauselbstverwaltung im Reichsgau Sudetenland, ab 1943 stellvertrtetender Gauhauptmann. 1939 SS-Sturmbannführer, 1942 SS-Unterführer im SS-Hauptamt-Schulungsamt in Berlin. Nach dem Krieg Stadtarchivar und Museumsleiter in Ludwigshafen. Einflußreicher sudetendeutscher Historiker, u. a. 1937-1945 Schriftleiter der Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte, unterhielt er vor dem Krieg im Auftrag Konrad Henleins die Verbindungen zu Volkstumswissenschaftlern in Deutschland und war während des Krieges an der Leitung der Sudetendeutsche Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg maßgeblich beteiligt; nach dem Krieg war er Gründungs- und Vorstandmitglied des Collegium Carolinum in München. Für weitere Informationen über Oberdorffers Verständnis der Aufgaben der sudetendeutschen völkischen Wissenschaft vgl. Kurt Oberdorffer: Gedanken zur Frage der wissenschaftlichen Volkstumsforschung im Sudetenland, 20. Dezember 1938, in: Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus und die Universität Prag, Dokumente eingeleitet und herausgegeben von Gerd Simon, Tübingen 2001, S. 44-49 (Publikationen der Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung 2). Zu beachten ist auch seine Broschüre aus dem Jahre 1938 (Kurt Oberdorffer: Das Sudetendeutschland in der deutschen Geschichte, Jena 1938, 41 S.), deren Inhaltsverzeichnis schon auf den ersten Blick das Grundmuster sudetendeutscher Vorstellungen über die böhmische Geschichte in ungewöhnlich klarer Form deutlich macht: „Die Erschließung“, „Das Lehen des Reiches“, „Das Herzland des Reiches“, „Die Provinz der Habsburger“ und „Im Kampf um das neue Reich“.

Theodor Oberländer, * 1. 5. 1905 Meinigen/Thüringen, + 4. 5. 1998 Bonn, Nationalökonom, nahm teil schon am Hitlerputsch 1923 und gehörte zum harten Kern der NS-Osteuropaexperten. 1933 Professor an der Universität Königsberg, 1940-1945 Professor an der deutschen Universität in Prag, 1941 zum Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät ernannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg einflußreicher Politiker in der BRD, 1957-1960 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, mußte wegen internationaler Kritik an seiner NS-Vergangenheit zurücktreten. Wie und warum Oberländer in der DDR 1960 verurteilt und 1993 in Berlin freigesprochen wurde ist nachzulesen in Götz Aly: Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens (Berlin 1997, S. 99-106).

František Palacký, * 14. 6. 1798 Hodslavice, + 26. 5. 1876 Prag, seit 1823 Archivar in Prag, seit 1838 Landeshistoriograph der böhmischen Stände. 1848 Mitglied der österreichischen Volksvertretung in Wien und in Kremsier sowie Präsident des Slawenkongresses in Prag. 1861-1875 Abgeordneter des böhmischen Landtags, Verfasser eines grundlegenden fünfbändigen Werkes zur böhmischen Geschichte bis 1526. Von den deutschnational und völkisch gesinnten Deutschen schon zu seinen Lebzeiten sehr angegriffen, gilt er in der sudetendeutschen Bewegung als das Sinnbild des vermeintlichen Irrwegs des tschechischen historischen Bewußtseins.

Albrecht Penck, * 25. 9. 1858 Leipzig, + 7. 3. 1945 Prag, Geograph, seit 1885 Professor in Wien, 1906-1926 in Berlin, gilt heute als ein großer deutscher Wissenschaftler und seine maßgebende Rolle beim völkischen Missbrauch der Wissenschaft wird meist verschwiegen (wie etwa in der Biographie im Brockhaus von 1991). : „P. ist einer der Begründer der modernen Geomorphologie, bes. durch seine bahnrechende Arbeiten zur eiszeitl. Vergletscherung Mitteleuropas. Er regte 1891 die Herstellung der → Internationalen Weltkarte 1: 1 000 000 an“). Für Bohemisten ist seine umfangreiche Rezensionen des Buchs von Hugo Hassinger interessant (Hugo Hassinger: Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien-Lepzig-München [1925]), das er als das erste wissenschaftliche Werk über die Tschechoslowakei bezeichnete (Albrecht Penck: Die Tschechoslowakei nach Hugo Hassinger, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1926, Nr. 9-10, S. 425-432). Pencks Anregungen wurden systematisch ausgearbeitet u. a. in Gustav Fochler-Hauke: Deutscher Volksboden und Deutsches Volkstum in der Tschechoslowakei. Eine geographisch-geopolitische Zusammenschau, Heidelberg-Berlin 1937 (mit einer Einführung von Karl Haushofer).

Josef Pfitzner,* 24. 3. 1901 Petrovice bei Krnov, + 6. 9. 1945 Prag, ab 1930 a. o. und 1935-1945 Professor für osteuropäische Geschichte an der deutschen Universität Prag, 1939-1945 stellevertretender Primator (Bürgermeister) von Prag, nach dem Kriegsende zum Tode verurteilt und hingerichtet. In der Zwischenkriegszeit bekannter Osteuropahistoriker und führender Ideologe der sudetendeutschen völkischen Bewegung, im bohemistischen Kontext sind v. a. seine folgenden Publikationen zu beachten: Josef Pfitzner: Das Erwachen der Sudetendeutschen im Spiegel ihres Schrifttums bis zum Jahre 1848 (Augsburg 1926); Ders.: Sudetendeutsche Geschichte (Reichenberg 1935); Ders.: Sudetendeutsche Einheitsbewegung. Werden und Erfüllung (Nach der Beschlagnahme 2. Aufl. Karlsbad-Leipzig 1937); Ders.: Das Sudetendeutschtum (Köln 1938). Zu seiner politischen Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs vgl. Josef Pfitzner a protektorátní Praha v letech 1939-1945, hg. v. Alena Míšková u. Vojtěch Šustek (Bd.1, Praha 2000, Bd. 2., ed. Vojtěch Šustek, Praha 2001).

Gustav Pirchan, * 3. 2. 1881 Wien, + 22. 7. 1945 Terezín (Theresienstadt), seit 1909 Archivar in Prag, 1918-1933 am Archiv des Innenministeriums, dort 1929 Obersektionsrat und stellvertretender Leiter. 1933-1945 a. o. Professor für mittelalterliche Geschichte an der deutschen Universität in Prag, dort zuletzt Geschäftsführender Direktor des Historischen Seminars. 1915-1940 Geschäftsführer des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen, einer der rhetorisch militanten „Väter“ der sudetendeutschen völkischen Geschichtsideologie.

Wilhelm Pleyer, * 8. 3. 1901 Sudomerice u Bechyne, + 14. 12. 1974 München, völkischer Schriftsteller und Publizist, nach dem Studium an der Prager deutschen Universität wirkte er 1924-1926 als Redakteur der Zeitschriften „Rübezahl“ und „Norden“, 1926-1929 „Gaugeschäftsführer“ der Deutschen Nationalen Partei in der Tschechoslowakei. Danach Redakteur des „Gablonzer Tagesboten“, des „Reichenberger Tagesboten“ und der „Sudetendeutschen Monatshefte“. Einer der erfolgreichsten sudetendeutschen Schrifteller im Dritten Reich, 1938 mit dem Literaturpreis der Reichshauptstadt Berlin, 1941 mit dem Schrifttumpreis der Stadt Stuttgart und 1956 mit dem Sudetendeutschen Förderpreis ausgezeichnet.

Jan Evangelista Purkyně, * 18. 12. 1787 Libochovice, + 28. 7. 1869 Prag, studierte an der Prager Universität, 1823-1850 Professor für Physiologie und Pathologie an der Universität Breslau und danach in Prag, wo er sich intensiv auch am gesellschaftlichen Leben beteiligte (u. a. seit 1861 Mitglied des böhmischen Landtags, regte die Gründung der böhmischen Akademie der Wissenschaften an, gründete die naturwissenschaftliche Zeitschrift Živa). Seine physiologischen Forschungen über die Zellen, das Auge, die Herzmuskulatur und das Nervensystem fanden weltweite Anerkennung (seine Bezeichnung „Protoplasma“ fand den Eingang in alle Sprachen).

Emanuel Rádl, * 21. 12. 1873 Pyšely bei Prag, + 12. 5. 1942 Prag, Naturwissenschaftler und Philosoph, Schüler von Tomáš G. Masaryk, ab 1919 Professor für Naturphilosophie, bekannter Kritiker der tschechischen Politik gegenüber den Deutschen, der sudetendeutschen völkischen Bewegung und des Nationalsozialismus; in Deutschland ist bisher allerdings nur seine Kritik des tschechischen Nationalismus bekannt.

Hermann Raschhofer, * 26. 7. 1905 Ried/Österreich, + 27. 8. 1979 Salzburg, Jurist, habilitierte sich 1937 in Berlin und wirkte 1941-1945 als Professor und Direktor des Instituts für Völkerrecht und Reichsrecht an der deutschen Universität in Prag. Führender Völkerrechtsexperte großdeutsch völkischer Kreise, profilierte sich auch als antitschechoslowakischer Agitator. Während des Krieges gehörte er zum engen Kreis der Vertrauten von Karl Hermann Frank. 1955 o. Professor für Völkerrecht an der Universität Würzburg, 1956 Gründungsmitglied und bis 1961 stellvertretender Vorsitzender des Collegium Carolinum in München. Zu seinen bis heute meist zitierten Werken gehören u. a. Raschhofer, Hermann (Hg.): Die tschechoslowakischen Denkschriften für die Friedenskonferenz in Paris, 1919/1920 (Berlin 1937) und Ders.: Die Sudetenfrage - Ihre völkerrechtliche Entwicklung vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. 2. Aufl., ergänzt von Otto Kimminich (München 1988), zu den wenig beachteten gehört u. a. Hermann Raschhofer: Großdeutsch oder kleinösterreichisch? Die Funktion einer kleinösterreichischen Ideologie (Berlin 1933).

Bruno Schier, * 17. 2. 1902 Vrchlabí, + 9. 2. 1984 Münster i. Westfalen, führender sudetendeutscher ‚Volkskundler’, seit 1934 Mitglied der Sudetendeutschen Partei und seit 1937 Mitglied der NSDAP. 1934-1945 Professor der deutschen Volks- und Altertumskunde an der Universität Leipzig, 1940-1945 Gastprofessor für Deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität in Bratislava und Leiter der Kommission für Volkskunde an der Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg (Liberec). 1947 Lehrbeauftragter für Westslawische Philologie in Halle/Saale, 1950 wissenschaftlicher Mitarbeiter des J. G. Herder-Instituts in Marburg, dessen Mitbegründer er war. Ab 1951 o. Professor für Volkskunde an der Universität Münster, 1961-1984 Mitglied des Collegium Carolinum in München. Vgl. Hannjost Lixfeld: Rosenbergs ‚braune’ und Himmlers ‚schwarze’ Volkskunde im Kampf um die Vorherrschaft, in: Völkische Wissenschaft, Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Wolfgang Jacobeit, Hannjost Lixfeld und Olaf Bockhorn in Zusammenarbeit mit James R. Dow, Wien-Köln 1994, S. 255-331.

Ernst Schwarz, * 19. 6. 1895 Bor bei Česká Lípa (Haida),+ 14. 4. 1983 Erlangen, führender sudetendeutscher völkischer Germanist, 1930-1945 Professor der älteren deutschen Sprache und Literatur an der deutschen Universität in Prag, zuletzt Direktor des Seminars für Deutsche Philologie, 1939-1941 Dekan, 1936-1945 Mitglied der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft Kunst und Literatur in Böhmen (seit 1941 Deutsche Akademie der Wissenschaften) und Obmann zweier ihrer Kommissionen, nach dem Zweiten Weltkrieg 1955-1963 o. Professor für germanische und deutsche Philologie an der Universität Erlangen, Gründungs- und Vorstandsmitglied der Historischen Kommission der Sudetenländer und des Collegium Carolinum in München, dort seit 1979 Ehrenmitglied des Vorstandes, sowie Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1960 mit dem Bayerischen Verdienstorden und 1970 mit dem Georg-Dehio-Preis ausgezeichnet.

Pavel Stránský, * 1583 Zapy bei Čelákovice, + 1657 Toruń/Polen (Thorn), an der Prager Universität ausgebildeter Jurist, seit 1609-1625 Lehrer in Litoměřice, dort auch Stadtschreiber und Stadtrat, unterstützte den böhmischen Aufstand 1618/20 und verteidigte noch 1627 öffentlich seinen Glauben und die böhmische Sprache gegen die ins Land berufenen katholischen Missionare, wurde jedoch vertrieben und lebte danach in Sachsen und seit 1635 in Thorn. Sein bekanntes Werk Respublica Bojema, ein umfangreiches Werk über die Geschichte sowie die staatsrechtlichen, wirtschaftlichen und kulturhistorischen Verhältnisse in Böhmen, ist zum erstenmal 1634 in Leiden erschienen und wurde 1792 auf deutsch herausgegeben.

Wilhelm Weizsäcker, * 2. 11. 1886 Prag, + 19. 7. 1961 Heidelberg, 1926-1945 Professor für Rechtsgeschichte an der Prager deutschen Universität (1941-1943 lehrte er an der Universität Wien). Einflußreicher NS-Rechtshistoriker in Prag (1943 mit der Leitung des neu errichteten Instituts für Deutsches Recht im Osten betraut, Verwaltungsdirektor der Reinhard-Heydrich-Stiftung), 1945-1949 Rechts- und Verwaltungsberater beim Hauptausschuß für Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern, 1950 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, Mitglied zahlreicher sudetendeutscher Organisationen, u. a. Adalbert-Stifter-Verein, Historische Kommission der Sudetenländer und Collegium Carolinum („Im Kreise des Collegium Carolinum war er der anerkannte Vertreter der böhmischen Verfassungsgeschichte“ und deshalb gebührt es, „diesem treuen Freund und Mitarbeiter, diesem lauteren Vorkämpfer echter, deutscher Wissenschaft“ aufrichtig zu danken und „ihm in herzlicher Verehrung ein bleibendes Andenken zu bewahren“ (Bohemia 3, 1962, S. 580f.). Vgl. Joachim Bahlcke: Wilhelm Weizsäcker (1886-1961), Jurist. Rechtsgeschichte und Volksgemeinschaft, in: Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik, hg. v. Monika Glettler u. Alena Míšková, Essen 2001, S. 391-411 und Joachim Bahlcke: Věda v sudetoněmeckém národnostním boji. K vysokoškolské a politické činnosti pražského právního historika Wilhelma Weizsäckera v době od mnichovské dohody 1938 do konce druhé světové války, in: Věda v českých zemích za druhé světové války, Praha 1998, S. 384f.

Wilhelm Wostry, * 14. 8. 1877 Žatec, * 8. 4. 1951 Helfta bei Eisleben/DDR, Historiker, 1922-1945 Professor an der deutschen Universität in Prag, 1926-1945 Leiter des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen, 1937-1945 Schriftleiter der Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte. Nach dem Krieg wurde ihm in der Historischen Zeitschrift mit Anerkennung bescheinigt, daß er es verstand, aus dem Fach Tschechoslowakische Geschichte, das an der Prager Universität zu lehren er berufen worden war, „eine deutsche Landesgeschichtsforschung für die Sudetenländer aufzubauen“ (HZ 172, 1951, S. 438); im Kreis der sudetendeutschen Historiker in der BRD wurde seinen wissenschaftlichen Verdiensten und seinen persönlichen Charaktereigenschaften Reverenz erwiesen (Bohemia 1, 1960, S. 383-385), und im Jahre 1970 wurde Wostry im Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder als ein „deutscher Repräsentant der böhmischen Landesgeschichte moderner Prägung“ präsentiert (Bd. 4, Stuttgart 1970, S. 176). Dabei wurden jedesmal die 1943 mit der „Ackermannmedaille für kämpferische Wissenschaft“ gewürdigten Verdienste von Wostry als des führenden sudetendeutschen Amtsträgers des NS-Regimes in Prag verschwiegen (u. a. als Direktor des historischen Seminars der Prager Universität, Obmann der Historischen Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag, Leiter der Kommission für Geschichte der Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung, Obmann des Universitätsbundes in Prag, Herausgeber der Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte sowie Verfasser ideologisch-programmatischer Texte des NS-Regimes).