Martin David Brown: Dealing with Democrats
The British Foreign Office and the Czechoslovak Émigrés in Great Britain, 1939 to 1945
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2006, 423 S. (Mitteleuropa - Osteuropa.
Oldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas, Bd.7)
Rezension in der British Czech and
Slovak Review, Oct/Nov 2006
Diese Studie befaßt sich mit der Geschichte der britisch-tschechoslowakischen
Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges, aber auch zum ersten Mal mit einem
wichtigen Aspekt der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der
Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie geht von der Frage aus: Warum
änderte sich das Verhältnis Großbritanniens zwischen 1938 und 1945 zur
Tschechoslowakei in dem Ausmaß, dass die britische Regierung, die 1938 mit der
Zerschlagung des Staates zugunsten deutscher Forderungen einverstanden gewesen
war, 1945 die Wiedererrichtung der Tschechoslowakei sowie die Aussiedlung ihrer
deutschen Bevölkerung unterstützte?
Der Verfasser, der britische Historiker Martin David Brown, ist Professor für
Internationale Geschichte an der britisch-amerikanischen Richmond
University in London (mehr hier). Er
ist bekannt u. a. auf Grund mehrerer Studien zur diplomatischen Geschichte im
einschlägigen Themenbereich (A Munich Winter or a Prague Spring? The evolution
of British policy towards the Sudeten Germans from October 1938 to September
1939, in H. H. Hahn (Hg.): Hundert Jahre sudetendeutsche Geschichte. Eine
völkische Bewegung in drei Staaten, Frankfurt am Main 2007, S.257-273; „Nigdy
nie narzekaj, nigdy nie wyjaśniaj”. Wpływ Foreign Office na kształtowanie
stosunków brytyjsko-polsko-czechosłowackich w latach 1939-1945, in: P. Blažek,
R. Jaworski, L. Kamiński (Hg.): Między przymusową przyjaźnią a prawdziwą
solidarnością: Czesi – Polacy – Slowacy, 1938/39 – 1945 – 1989, Warszawa 2007,
S. 101-109; Forcible population transfers – A flawed legacy or an unavoidable
necessity in protracted ethnic conflicts? The case of the Sudeten Germans, in:
J. Black (Hg.): The Second Wold War, Bd. 2: The German War, 1943-1945, Aldershot
2007, S. 377-383).
Martin D. Brown deutet im Titel seiner Studie Dealing with Democrats den Fokus
seiner Forschung an. Er paraphrasiert damit den berühmten Buchtitel Dealing with
Dictators: So heißen die Memoiren eines der führenden britischen Diplomaten zur
Zeit des Zweiten Weltkriegs, Sir Frank Kenyon Roberts. Im Unterschied zu der
gängigen Fragestellung der meisten Historiker der 1930er und 1940er Jahre, die
sich nach den Reaktionen der demokratischen Mächte auf die Herausforderung ihrer
Gegner – der Diktatoren – fragen, untersucht Brown die Einstellungen, Handlungen
und Entscheidungsprozesse der britischen Diplomatie bezüglich der
tschechoslowakischen Exilregierung und somit ihrem wichtigsten Anliegen, der
Wiederherstellung der 1938 zerstörten demokratischen Tschechoslowakei. Nach
seiner Beobachtung hat die westliche Historiographie während des Kalten Krieges
immer wieder nur einige wenige Schlüsselereignisse behandelt, die sich als
mögliche Verknüpfungspunkte zwischen dem Kriegsgeschehen und der kommunistischen
Machtübernahme anzubieten schienen: „The history of the ‚six years in exile‘ was
effectively rewritten by Communists and anti-Communists alike during the Cold
War, a process that dislocated accounts of the ‚Action Abroad‘ from their
original context.“ (S. 23). Auf die so entstandenen Verzerrungen unserer
Geschichtsbilder versucht Martin David Brown neues Licht zu werfen.
Er untersucht die Rolle und Bedeutung des Foreign Office in den
Willensbildungsprozessen der britischen Regierung zum tschechoslowakischen Exil,
bietet eine Übersicht über die Anglo-Tschechoslowakischen Beziehungen während
des Krieges und erforscht ausführlich die zunächst zögerliche Haltung gegenüber
dem emigrierten Präsidenten Edvard Beneš und seiner Regierung. Ein Kapitel
seines Buches ist der Interaktion zwischen den militärischen und politischen
Überlegungen britischer Diplomaten und Politiker während des Krieges gewidmet,
in einem weiteren Kapitel untersucht er die trilateralen Beziehungen zwischen
den britischen, tschechoslowakischen und sowjetischen Behörden. Der letzte Teil
seines Buches beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle das Verhältnis zu der
polnischen Exilregierung sowie zu den aus der Tschechoslowakei emigrierten
deutschen Politikern in den Anglo-Tschechoslowakischen Beziehungen spielte.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Martin David Brown auch der Rolle des britischen
Geheimdienstes Special Operation Executive (SOE) in einschlägigen Fragen: „In
fact, an examination of the recently opened SOE archives reveals that the
organisation played a far more important role in Foreign Office’s relations with
Beneš and his colleagues that has previouslsy been assumed“. SOE spielte nicht
nur eine wichtige Rolle beim Heydrich-Attentat, sondern auch beim Slowakischen
Nationalaufstand im Herbst 1944 ebenso wie im Mai 1945 in Prag: „But more than
that, SOE had a direct effect on Anglo-Czechoslovak relations – sometimes for
better, and sometimes for worse“. (S. 308f.)
Die Erkenntnisse dieser Untersuchung zeigen ein anderes Bild der
tschechoslowakischen Exilregierung, als bisher gängig ist: „Over the past sixty
years, western historiography has consistently portrayed Dr. Edvard Beneš and
his émigré colleagues based in Britain during Second World War as having failed
to uphold the democratic standards of the pre-war Czechoslovak Republic they
claimed to represent. The Czechoslovak Governement in exile has since been
accused of being dangeroulsy naïve in its relations with J.V.Stalin’s Soviet
regime, of promoting state-sponsored ‚ethnic cleansing‘ and of ultimately
assisting the Czechoslovak Communist Party (KSČ) to seize control of the country
in February 1948. [...] However, when these events are examined from the
perspective of the wartime British Foreign Office, few, if any, of these
purported conclusions stand up to serious scrutiny.“ (S. 355)
Martin Brown hält das gängige Bild für falsch, weil es die Umgangsformen der
britischen Diplomatie mit dem tschechoslowakischen Exil nicht berücksichtigt:
„The course of inter-Allied diplomacy during Second World War was a peculiarly
Byzantine affair, conducted between unequally matched actors, who performed
their roles with varying degrees of competence and who pursued mutually
incompatible agendas. The fact that Beneš and his governement managed, in the
face of considerable difficulties, to reconstruct the the Czechoslovak State
1945 within its pre-1937 borders, and was able to reinstate, albeit briefly, a
working system of democracy, was in itself a remarkable achievement.
Furthermore, these successes were accomplished in spite of, rather than because
of, the support and encouragement Beneš recieved from the British Governement.“
(S. 355f.) Martin David Brown ist der erste Historiker, der keinen
eindimensionalen linearen ‚Weg‘ der tschechoslowakischen Exildiplomatie vom
Jahre 1938 zum Jahre 1945 zu zeichnen versucht. Ihm ist eine meisterhafte
Narration gelungen, in der die politische Komplexität, die widersprüchlichen
Interessen und die konfliktogenen Zielvorstellungen innerhalb sowohl der
britischen als auch der tschechoslowakischen Diplomatie und Öffentlichkeit
nachvollziehbar und verständlich werden.
© Eva Hahn, Augustfehn